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Reisereportage Kleinwalsertal

Redaktion

Inmitten der Allgäuer Alpen erwartet den urlaubsbedürftigen Stadtmenschen eine Postkartenidylle sondergleichen. Mitsamt phänomenalen, regionalen und saisonalen Gerichten auf dem Teller.


Kleinwalsertal Österreich Urlaub Landschaft Wandern
Das Wahrzeichen der Region: der Hohe Ifen auf der Grenze zwischen Deutschland und Österreich © Kleinwalsertal Tourismus

"Wartet mal, ich hole uns noch etwas, das ich gerade zur Fermentation angesetzt habe." Haubenkoch und Gastgeber Jürgen Denk ist zum Ausklang des Abends fast nicht mehr aufzuhalten, seine Frau Kirsten hat sich vor rund einer Stunde schon in den wohlverdienten Feierabend verabschiedet. Es ist der dritte Abend einer Kulinarikreise durch das Kleinwalsertal, das in jeder Hinsicht überzeugt. Hinter der deutsch-österreichischen Reisegruppe liegen drei Gänge à la Carte, darunter das "Bergabenteuer", eine Vorspeise bestehend aus Terrine von Reh und Hirsch, Essenz von Steinpilzen, einer gebackenen Rotkohl-Praline und fermentiertem Ahorn, auf den die Servicekraft noch mal ausdrücklich hinweist, bevor sie den Teller abräumt.

 

"Also den essen Sie ja wohl mit, der darf aber nicht auf dem Teller bleiben. Der Chef macht sich so eine Mühe damit.“ Recht hat sie. Die Hauptspeisen sind vom zart geschmorten "Bö amott", einem Braten vom Jungrind mit einer wunderbar handwerklich gekochten Sauce. Auch die vegane Alternative – das Dinkelchüachle (sprich: "Küchle") mit Salaten und eingelegtem Gemüse – bringt ein Zusammenspiel von herzhaft, süß-sauer und nussig. Und die eigene Interpretation der Crème brûlée mit gestockter Buttermilch, süß-saurem Fichtengelee und beschwipst eingelegten Früchten bilden einen gelungenen Abschluss, die mit Geschichten aus der Vita des Chefkochs garniert werden. Dass der auf einem Luxus-Kreuzfahrtschiff mit jedem Lebensmittel der Welt auf Zuruf hätte arbeiten können und zum Teil den puren Überfluss an Bord ins Meer entsorgen musste, steht im direkten Gegensatz dazu, wie Denk seine Küche jetzt interpretiert und lebt, im ehemals elterlichen Betrieb.

 

Bio und Regionalität sind hier keine Gütesiegel aus der Marketingabteilung – dass die

Köche im Kleinwalsertal ihre Erzeuger kennen und einen fairen Umgang bei Preisen

und Qualität pflegen, scheint eine Maxime in dieser Region zu sein. Denk geht mit der Vereinigung "Önsche Walser Chuche" ("Unsere Walser Küche"), die sich vor rund 14 Jahren

gründete, sogar noch einen Schritt weiter: Er lässt alte Traditionen und Zutaten wieder Einfluss in der Küche nehmen, experimentiert mit den Produkten der Region Vorarlberg-Bodensee-Allgäu und bringt so seine komplett regional-nachhaltige Überzeugung auf den Teller. Hier sind Koch-Buddys unter sich. Und so landen am Ende dieses Abends eben eingelegte Beeren und fermentierte Tannenspitzen als letzter Probierhappen aus der Küche auf den Probiergabeln der Gäste, die sich irgendwann selbst aus dem Restaurant kegeln.



So kann der Tag doch beginnen: Der Pool im Oswalda Hus gibt den Blick auf den Hohen Ifen frei.  @Kleinwalsertal Tourismus Oliver Farys
So kann der Tag doch beginnen: Der Pool im Oswalda Hus gibt den Blick auf den Hohen Ifen frei. @Kleinwalsertal Tourismus Oliver Farys

Angesichts der geballten Kulinarik, die sich uns hier in den vergangenen drei Tagen präsentiert hat, ist der erste Lichtblick jedes Tages der meterlange Outdoor-Pool unserer Unterbringung, des Bio-Hotels Oswalda Hus. Mit 24 Zimmern und rustikalen Holztönen durchsetzt fühlt man sich bei Joachim Müller sofort willkommen. Ein Hinweis für Remote-Worker: Hier wird das W-Lan noch konsequent ab 22 Uhr ausgeschaltet, und wer

auf seinen mobilen Datenempfang setzt, dem sei viel Spaß gewünscht, einen guten Hotspot-

Empfang zu finden. Entschleunigung auf die harte Tour, aber weil Gastgeber Joachim daraus keinen Hehl macht, braucht sich auch niemand nachträglich beschweren. Überhauptschreit einen das Naturszenario und der Blick auf den Ifen, das Wahrzeichen dieses Landstrichs, mit einer Konsequenz an, dass man doch bitte mal all seine elektronischen Geräte in der Reisetasche lässt.

 

So lässt sich dann auch das vielfältige Frühstück oder – und hier muss man kurz noch mal

Respekt zollen – das Abendmenü in Ruhe genießen, das Joachim als Autodidakt jeden Tag bis auf Sonntag serviert. Ist doch gut, wenn auch der Gastgeber auf seine Work-Life-Balance achtet und sich Zeit für die Familie nimmt. Und wenn Autodidakten so kochen, macht man brav den kleinen Knicks und bedankt sich: Sowohl das am ersten Abend servierte Beiried (Roastbeef) als auch das knusprig gebratene Saiblingsfilet deuten zu keinem Zeitpunkt daraufhin, dass dem Küchenchef nur so wenig Platz und Gerätschaften zur Verfügung stehen, wo andere sich weigern würden, Currywurst und Pommes zu schicken.

 

Aber bloß, weil einen abends ein Drei-Gang-Menü erwartet, soll niemand Angst haben, dass

man mittags Hunger erleiden muss. Zumal der Gegensatz zwischen den letzten verbleibenden Stopps kaum größer sein könnte. Das familiengeführte Naturhotel Chesa Valisa verbindet alpine Tradition mit den Vorzügen ayurvedischer Moderne. Schon wenn man das Hotel betritt, macht sich eine äußere Ruhe breit, die bald zur inneren Entspannung wird. Es dominieren auch hier große Fensterfronten, organische Stoffe und Holz. Besonderer Hingucker im Restaurantbereich ist der Plattenspieler. „Wenn wir hier Musik machen, dann legen wir ganz bewusst eine Platte auf und lassen keine Playlist durchlaufen“, erzählt Hotelchefin Magdalena Kessler.

 

Dazu bietet das Restaurantkonzept einen spannenden Mix, bei dem man allerdings nicht – wie wir – allzu vorschnell aufgrund der Mittagskarte urteilen sollten. Die, so gibt es auch der aus Düsseldorf stammende Slow-Food-Koch Dennis Gasper zu, bietet eher eine konsensfähige Anlaufstelle für Touristen dar, die gerade mit der Gondel wieder im Tal nach einer Bergwanderung gelandet sind. Es ist das Abendmenü, das einem ayurvedischen Konzept folgt und auf die jeweiligen Dosha-Typen der Gäste eingeht, um nach den möglichen Anwendungen und Massagen im Haus auch die Kulinarik in ein ganzheitliches Konzept einzupassen. Unser gebeizter Saibling mit Beten-Carpacchio, Spargel und Salat vom Büffet sollte dann wirklich nicht die Messlatte für den Anspruch des Bio-Kochs gewesen sei, der eine komplette Brigade fürs Abendgeschäft im Einsatz hat.



Eins darf für das touristische Idyll nicht fehlen, wenn man die Berge vor und um sich

hat: Kaiserschmarrn auf einer Alb. Wenn man sich allerdings das Angebot der Bernhards Gemstel Alp ansieht, denkt man sich unfreiwillig: "Ja seid’s ihr denn narrisch?!" In einer historischen Hütte fast überwiegend nur à la minute Gerichte zu schicken – egal ob Kaspressknödel mit und ohne Suppe, reichlich gefüllte Omeletts oder eben Kaiserschmarrn: Wie sehr kann sich ein Koch selbst die Herausforderung stellen, in der Hauptsaison so ins Rotieren zu geraten? Denn selbst die liebevoll hergerichtete Wurst- und Käseteller mit hausgemachten Senfsorten bedeuten für die Küche genau eines: viele, viele Handgriffe bis zum Gästeglück. Und dann steht zum Abschluss eines sonnigen Samstags der Koch höchstpersönlich vor einem und freut sich, dass alle so zufrieden den Heimweg antreten – während er dabei aussieht, als hätte er nur zwei Butterbrote aufgetischt. Irgendetwas an diesem Kleinwalsertal scheint die Leute so dermaßen zu erden, dass wir gerne für eine zweite Visite nochmal vorbeischauen.


Wanderroute bei  Gemstel                                                                                                                                                              © Kleinwalsertal Tourismus
Wanderroute bei Gemstel © Kleinwalsertal Tourismus





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