Interview: Wie Meera Sodha nach ihrem Burnout das Kochen wieder lieben lernte
- Redaktion
- 3. Nov.
- 4 Min. Lesezeit

Meera, dein neues Kochbuch heißt in Deutschland "Happy", während es in England als Dinner erschienen ist. Wenn man an die Idee dahinter denkt: Warum, glaubst du, hat das Abendessen ein eigenes Kochbuch verdient?
Vor ein paar Jahren habe ich meine Liebe fürs Essen – und für das Leben – verloren. Ich hatte einen extremen Burnout und habe monatelang nicht gekocht. Als ich wieder anfing, stand für mich ein Essen ganz besonders im Mittelpunkt: das Abendessen. Sich aufs Abendessen zu konzentrieren, es einfach zu planen, hat mich geerdet. Schritt für Schritt zu kochen, wurde zu einer kleinen Tagesleistung. Und das Kochen aus Leidenschaft – und nicht aus Pflicht – hat meine Beziehung zum Essen total verändert. Es ist wie eine Superkraft und ich wollte dieses einfache Glück unbedingt mit anderen teilen.
Da du selbst Mutter bist: Findest du, dass es einen Unterschied zwischen Rezepten für Abendessen nur für Erwachsene und solchen mit Kindern gibt?
Kleine Kinder sind von Natur aus superneugierig, aber: Sie haben 10.000 bis 20.000 mehr Geschmacksknospen als Erwachsene! Was für uns schon „kräftig“ schmeckt, ist für sie richtig intensiv, das muss man unbedingt bedenken. Bis meine Tochter acht Jahre alt war, habe ich oft das Essen abgewandelt – weniger scharf, weniger Salz. Aber inzwischen isst sie fast alles, was Hugh, mein Mann, und ich auch mögen.
Für viele ist das Abendessen nach einem stressigen Tag einfach nur eine nervige Pflicht – die Familie hat Hunger. Was ist dein Argument, dieses Essen trotzdem mit Liebe und Zeit zu planen und zu zelebrieren?
Wenn man einen anstrengenden Tag hatte, will man vielleicht als letztes To-Do nicht mehr kochen müssen, das stimmt. Aber ich habe festgestellt: Wenn ich alles andere im Leben runtergefahren habe, ist Kochen plötzlich ein echter Genuss – meditativ, kreativ, freudvoll. Vorausgesetzt, man nimmt sich Zeit dafür. Wenn ich mich aus Pflicht jeden Tag zum Kochen zwingen würde, wäre es nur eine weitere Aufgabe. Deshalb koche ich manchmal auf Vorrat oder friere Reste ein. Und manchmal gibt’s halt nur schnell ein paar gedämpfte Teigtaschen aus dem Tiefkühler.
Welche Angst müssen Menschen deiner Meinung nach zuerst überwinden: die vor langen Zutatenlisten oder die vor vielen Kochschritten?
Vertrauen ist total wichtig. Such dir jemanden, dessen Rezepte dich ansprechen, und dessen Anleitung dir Sicherheit gibt – dann ist es egal, ob die Zutatenliste lang oder die Schritte zahlreich sind. Beides ist oft gar kein Maßstab für Schwierigkeit! Indische Rezepte zum Beispiel haben oft viele Gewürze, die aber alle auf einmal in den Topf wandern – kein Hexenwerk. Viele Schritte bedeuten meist einfach, dass dir ein:e Kochbuchautor:in alles genau erklären will. Kurz gesagt: Mit der richtigen Begleitung brauchst du weder Zutaten noch Anleitungsschritte zu fürchten.
Du lebst in England – wie betrachtest du die dortige Esskultur? In Deutschland teilt es sich auf: Eine kleine Gruppe liebt Essen, kauft bio, kocht viel. Die meisten aber sehen Essen als Notwendigkeit. Und gerade die Jüngeren setzen häufig auf Convenience, Take-away und App-Bestellungen, sie würden sich angesichts von frischen Zutaten direkt überfordert fühlen.
Ich glaube, Convenience-Food wird bleiben – aber ich kann dagegenhalten, indem ich immer wieder einfache, relevante Rezepte anbiete, die jeder nachkochen kann. Gutes Kochen kommt nie aus der Mode, egal wie sehr sich die Gesellschaft verändert. Es ist einfach zu schön, sich und andere zu ernähren und mit eigenen Händen Essen zu erschaffen. Das ist so alt wie die Menschheit!
Du hast indisch-ugandische Wurzeln, deine Eltern stammen aus Uganda, deine Großeltern aus Indien. Wie haben die verschiedenen Länder deinen Blick aufs Essen geprägt? Beschäftigst du dich mit diesen Traditionen oder reizt dich mehr das Neue in Form von dir unbekannten Küchen?
Das Essen zu kochen, das meine Eltern und Großeltern aus ihrer Kindheit kennen und von dem sie mir erzählt haben, ist für mich eine Möglichkeit, Familiengeschichte zusammenzusetzen – aus Zeiten und Orten, die ich selbst nicht erleben konnte. Genau deswegen sind Traditionen für mich wichtig, so wie alte Fotos. Das hält mich aber nicht davon ab, auch andere Küchen zu entdecken – im Gegenteil, ich finde es spannend, dass hinter jedem Gericht eine Geschichte steckt. Das macht’s für mich erst richtig aufregend.
In deinem neuen Buch erzählst du offen von deinem Burnout. Das kann in jeder Branche passieren – aber trifft es einen vielleicht in einem Beruf wie deinem besonders, weil Essen und Gefühle so eng verbunden sind und du plötzlich nichts mehr empfinden konntest?
In kreativen Berufen muss man das, was man tut, wirklich „fühlen“, damit etwas Gutes entsteht. Durch den Burnout hatte ich einfach keine Energie mehr, keinen Appetit aufs Kreativsein – und war dadurch nicht in der Lage, mir schöne Gerichte auszudenken.
Wie hast du zurück ins Leben gefunden?
Ich habe komplett aufgehört zu arbeiten. Das war ein langer, langsamer Prozess mit viel Ausruhen, Nachdenken und Therapie. Ich habe gemerkt, dass ich oft zu sehr Zielen hinterhergelaufen bin, statt den Prozess zu genießen. Ich habe mir vorgenommen, die Freude
wieder in mein Leben und meine Meera Sodha mit ihrer Familie beim Essen Arbeit zu holen – und so kam ich auch zum Kochen zurück. Und siehe da: Es hat funktioniert!
Gibt es ein Gericht, in das du besonders viel Liebe und Zeit gesteckt hast, von dem du dachtest, alle werden es lieben – und dann hat es keiner angerührt?
Oh ja – zwei von vier bei uns sind einfach (noch) keine Auberginen-Fans! Zum Glück essen Hugh undich dann doppelt so viel und gleichen das wieder aus.
Zur Person
Meera Sodha ist eine britische Kochbuchautorin und Food-Journalistin. Sie wurde durch ihre innovativen Rezepte bekannt, die traditionelle indische und asiatische Küche modern interpretieren. Ihre Bestseller wie "Made In India" und "East" begeistern Leser:innen weltweit. Sodha schreibt regelmäßig für den Guardian insbesondere über veganes Kochen.

Meera Sodha
"Happy"
In ihrem vierten Kochbuch, das sich dem Thema "Abendessen" widmet, lässt Meera Sodha ihre Leser:innen daran teilhaben, wie Kochen Freude und Entspannung bringen kann. Ihre Rezepte sind vielfältig und gleichzeitig unkompliziert, speisen sich aus ihren familiären Einflüssen und sind dabei auch vegetarisch oder vegan gehalten.
320 Seiten | 29,95 €




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