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Redaktion

Interview: Sternekoch und Schlagzeuger Daniel Gottschlich über seine kreative Küche


Daniel, du bist vor wenigen Monaten aus Rom zurückgekommen. Grund deines Aufenthalts: Du warst der erste deutsche Koch mit einem Stipendium in der Villa Massimo.

Genau, das war im November letzten Jahres. Ich war sieben Wochen als Kurzzeitstipendiat dort.

 

Hast du dich dafür selbst beworben? Oder wurdest du nominiert?

Es gibt zwei Arten von Stipendien. Meines gehörte zu den Kurzzeitstipendien, die werden tatsächlich von der Direktorin der Villa Massimo direkt vergeben.

 

Weißt du, ob du damit andere Köche aus dem Rennen um diesen Platz geworfen hast? Also gab es im Vorfeld andere Kandidaten?

Ich war ohne Konkurrenz. Das hat sich durch einen gemeinsamen Kontakt ergeben. Mit Vito Žuraj, einem slowenischen Komponisten, habe ich 2019 das Orchesterstück "Hors d‘œuvre" geschrieben und aufgeführt. Das war ein Orchesterstück mit Kochperformance, für das wir zusammengefunden haben. Vito war selbst bereits 2014 in der Villa Massimo. So kam die Verbindung zustande und die Direktorin Dr. Julia Draganović wollte mich eigentlich schon 2020 für ein Kurzzeitstipendiat einladen, was wir aber wegen Corona verschieben mussten.

 

Was hast du als Erwartungshaltung an so einen Austausch mitgebracht? Muss man es sich so vorstellen, dass du dich mit einem bildenden Künstler austauschst, wie man den Teller kreativer anrichten kann?

Diese Vorstellung ist natürlich sehr romantisch. Tatsächlich waren diese sieben Wochen allerdings sehr eng getaktet und das mit vielen verschiedenen Dingen und Aktionen. Darum geht es aber auch, dass man durch diesen Aktionismus sein Künstler-Dasein auslebt. Ich habe zwar auch Gespräche mit den anderen Stipendiaten vor Ort geführt, aber ich habe noch viel mehr über mich selbst gelernt.

 

Was genau meinst du?

Weil ich dort aus meiner Restaurant-Bubble, in der ich seit 13 Jahren bin, einfach mal rausgefallen bin und von vielen anderen Dingen umgeben war. Zum Beispiel damit, mehr Musik zu machen.

 

Würdest du sagen, dass es zwischen Kochen und Musik machen Verbindungen gibt? Einem Musiker sind alle Noten bekannt, aber der eine spielt hinterher bei den Vengaboys, der andere fängt bei Sigur Rós an. Du hast dich mit dem Rüstzeug für die Sterneküche entschieden, anderen reicht es, wenn sie in einer Kantine arbeiten.

Das war schon immer irgendwo in mir, dass ich mit dem Normalen nicht zufrieden bin. Also das heißt nicht, dass ich mich nicht über ein Schnitzel freue. Im Gegenteil, das kann auch sehr gut sein. Aber es geht mir um den eigenen Anspruch.

 

Also bringt der eine Punkrock und drei Akkorde auf den Teller, der andere ist wie Rush und will das opulente Drama?

Genau, wobei man auch sagen kann: Du kannst dich auch als Band weiterentwickeln. Vielleicht triffst du damit einen guten Punkt: Ich wollte immer mehr. Dazu gehört dann auch, meinen künstlerischen Anspruch zu verfeinern und darin bessern zu werden.

 

Was kommt in dem Prozess zuerst? Das technische Können, um seinen Anspruch zu verwirklichen oder eine Vision von dem, was du zubereiten willst: Also du hättest dir früher gesagt: Ich möchte Steinbutt auf den Teller bringen und jetzt schaue ich mal, wie ich das hinbekomme.

Ich nehme Nummer zwei: Ich möchte lieber etwas ausprobieren und mich an etwas versuchen, als dass ich mich zurückhalte und mir einrede: Ich muss erst alles perfekt können und dann kann ich etwas Neues versuchen. So war es letztlich damals auch mit dem Restaurant, das ich aufgemacht habe. Da gab es, um es zuzuspitzen, den Moment, in dem ich zu mir gesagt habe: Scheiße, du machst das jetzt einfach. Da habe ich vorher auch keine großen Kalkulationen für etwaige Notfälle aufgestellt – ich wusste, dass ich das machen wollte und fertig. So geht es mir heute auch noch mit Rezepten: Ich mache mir zwar auch Notizen und Zeichnungen von neuen Gerichten, aber ich will erstmal etwas probieren. Dieses Tun ermöglicht dann auch, dass du mit deiner Kunst rausgehen kannst. Das ist so wie bei einer Band, die 60 Jahre nur im Proberaum sitzt und nichts zustande bekommt. Dann lieber einfach mal ins Studio gehen, sich probieren und hinterher anschauen, was es gegeben hat.

 


Also bist du im Geiste immer noch die jungen Green Day, aber auf dem Teller ist es mittlerweile das Konzeptalbum?

Das trifft es ziemlich genial. Aus dieser musikalischen Perspektive habe ich das noch nie betrachtet.

 

Das ist im besten Sinne der Geist von DIY: Einfach machen ohne sich um die Fallhöhe zu sorgen. Aber bei dem Thema: Hast du dir damals Gedanken um das finanzielle Risiko gemacht, wenn alles vor die Wand gefahren wäre?

Dann wäre ich wieder Energieanlagen-Elektroniker geworden.

 

Dazu hätte ich sowieso noch die Frage, wie man auf diesen Beruf kommt. Der hat so überhaupt nichts mit Kreativität zu tun, oder?

Das ist eine etwas längere und komplexe Geschichte, aber wenn ich es abkürzen kann: aufgrund meiner Eltern. Aber als ich mit der Ausbildung durch war, bin ich dann auch Koch geworden.

 

Zurück zu der Frage des Scheiterns: Wenn das passiert wäre, dann krachend?

Genau so wäre es gewesen. Wenn scheitern, dann krachend. Da hätte es vielleicht noch das finanzielle Netz des Staates gegeben, aber – und das ist jetzt auch schon 14 Jahre her, das darf man nicht vergessen – ich bin da einfach blind reingegangen, für mich hat sich diese Frage nie gestellt. Ich habe immer gedacht, dass das schon gut gehen wird und wenn ich nicht in diesem „9 to 5“ verharren wollte, gab es nur die Option, mir etwas Eigenes zu erschaffen.

 

Würdest du das deinem 14 Jahre jüngeren Ich auch genauso raten oder ist es heute einfach so, dass dir der Erfolg recht gibt? Oder würdest du eine Sicherung einbauen, dass du vielleicht noch ein kleines Bistro nebenher führen würdest?

Ich würde es nochmal ganz anders sagen. Ich erwische mich manchmal dabei, dass ich Leuten etwas raten will, obwohl ich merke, dass die Person eigentlich ihren eigenen Weg gehen muss und mein Ratschlag an der Stelle nicht weiterhilft. Da wäre es wichtiger, dass diese Person sich selbst so sicher ist, dass sie für etwas brennt und das dann einfach macht.

 

Machen wir zusammen einen Themensprung und schauen zusammen in die Küche: Viele Köche sagen, dass die französische Küche, die Nouvelle Cuisine, die Haute Cuisine die Grundlage für alles ist. Was würdest du sagen, wohin entwickelt sich Kulinarik? Einen Schritt zurück ins Traditionelle oder ist der Horizont noch nicht erreicht, weil sich in Sachen Zubereitung und Technik noch etwas auftun wird? Oder weil es immer noch Zutaten gibt, die man (noch) nicht kennt?

Fangen wir doch bei der Kochgeschichte an, denn die ist immer noch sehr jung. Das muss man einfach so sagen. Klar, man hatte schon immer seinen Escoffier und so weiter. Aber diese Spitzengastronomie, dass die sich den Leuten so geöffnet hat, das ist noch nicht so lange her. Das war ein elitäres Thema und wenn du in eines dieser Restaurants gehen wolltest, dann war Anzugspflicht. Es war keine Option, mit Shorts oder Flip-Flops in solch ein Restaurant zu gehen, das konntest du in einer Pommesbude machen.

 

Wie hat sich die Präsentation dieser Kulinarik parallel dazu geändert?

Die Entwicklung geht straight voran, es wird in meiner Wahrnehmung vieles kreativer und es gibt neue Konzepte. So wie bei uns im "Ox & Klee". Da ist das Essen ein Teil der Story, die wir erzählen wollen, wir nennen es nicht umsonst "Experience Dining", weil du noch viel mehr am Abend erlebst. Das Konzept soll dich immersiv abholen.

 

Und was ist die "Experience" auf dem Teller? Denn zwischen weltweiter Verfügbarkeit und Regionalität liegt ein Füllhorn an Möglichkeiten.

Das Spektrum wird auch hier immer breiter und offener in der Kreativität, aber du hast heutzutage einen ganz wichtigen Punkt immer dabei – das ist die Nachhaltigkeit und die Verwendung regionaler Produkte. Dazu gehört auch die Unterstützung der Bauern. Dieser Aspekt ist mir sehr wichtig, egal wie abgefahren das Gericht hinterher auch ist. Aber ich brauche dann nicht den japanischen Hamachi.



 

Welcher Koch ist in deiner Wahrnehmung kreativer? Derjenige, der schon halb wie ein Food Scout agiert und für den Show-Effekt immer nach neuen Lebensmitteln sucht – oder derjenige, der konsequent regional ist?

Beides. Die Vermischung der Weltoffenheit mit Regionalität, und dann kommt noch etwas für mich hinzu: eine Art der gefühlten Bodenständigkeit. Denn dann sind wir wieder bei dem Thema von gerade: Wärest du vor 15 oder 20 Jahren in ein Sterne-Restaurant gegangen? Für mich war das undenkbar. Da gehörte ich nicht hin, dort saßen Menschen mit goldenen Manschetten. Aber das hat sich doch schon deutlich gewandelt. Klar, ein Besuch in so einem Restaurant, auch bei uns, kostet auch weiterhin gutes Geld, aber das tut es, weil es das wert ist. Egal, welche Zutaten. Und dafür musst du als Koch, aber auch als Gast brennen. Kein Mensch braucht Zwei- oder Drei-Sternerestaurants, du gehst dort hin, weil du es willst und dich dafür begeistern kannst. Also kann man doch auch den elitären Mist aus der Vergangenheit in die Tonne werfen, und – ich benutze das Wort jetzt mal – mit diesem Lifestyle auch Spaß haben. Mir schmeckt auch weiterhin die Pizza oder die Lasagne, aber mit dieser Küche will ich auch meinen Horizont erweitern.

 

Das ist deine Attitüde als Koch – komplett verstanden. Wie weit musst du dir deine Gäste dahin erziehen? Der Gast bringt seine Erwartungshaltung an diese Sterneküche mit, und wenn auf dem Steinbutt nicht noch Kaviar liegt, ist er dann enttäuscht? Eben weil er mehr als alltäglich für das Essen ausgibt.

 An dem Punkt ist was dran. Schau dir unsere Preise an: Das Zwölf-Gang-Menü liegt bei 290 Euro, die Veggie-Variante kostet auch 260 Euro. Wenn wir nicht so viele Details, so viel Liebe und Geschmack in die Gerichte investieren würden, dann könnte dir der Gast auch hinterher damit kommen, dass es überteuert sei. Dann würde mir jemand sagen: "Gottschlich, was machst du hier? Du legst mir eine Karotte mit Sauce auf den Teller?" Aber das ist es halt nicht, und so bedingt das Eine das Andere. Du könntest auch alles komplett zurückfahren und nur noch drei Leute in der Küche stehen haben, dabei kommt garantiert auch ein leckeres Gericht heraus. Und das für einen anderen Preis, natürlich. Aber davon sind wir weit, weit weg in eine andere Richtung geschwommen. Immer mit den Fragen im Kopf, wie man den Gast das nächste Mal begeistern kann und was wir neu machen können. Und weil der Gast das bei uns spürt, ist er bereit, diese Preise zu bezahlen.

 

Lass uns zum Abschluss nochmal nach Italien zurückkehren: Führen wir hier gerade eine sehr deutsche Diskussion, weil wir bei Essen direkt auf den Preis fokussiert sind?

In Italien hatte ich das Gefühl, dass das Thema Kulinarik 24/7 über allem schwebt und einfach so stattfindet. Das wünscht man sich natürlich auch in seiner Heimatstadt oder für sein eigenes Lebensgefühl, aber das ist leider nicht so. Die Leute waren begeistert, dass ich dort als Sternekoch hingekommen bin. Es gibt nur wenige Zwei-Sterne-Restaurants in Rom, das war schon ein Gegensatz. Denn in der Kulinarik ist man dort viel bodenständiger unterwegs, da ist das Thema Fine-Dining nicht so groß. Aber du hast diese ausgeprägte Liebe zum Essen.

 

Wie hat sich denn der Musiker Daniel Gottschlich gefühlt, als der Koch auf einmal der Rockstar war?

Ich habe da eher wieder den Musiker in mir entdeckt, den ich lange nicht mehr gelebt habe. Ich weiß nicht, ob du das kennst, wenn du ein Instrument in der Ecke stehen hast und es so ganz langsam zustaubt. Irgendwann siehst du das nicht mehr, aber bis dahin denkst du dir jedes Mal: "Da habe ich mal 15 Jahre drauf gespielt!" Und in Rom kam die Initialzündung: Ich habe mich dazu entschlossen, dass ich mich musikalisch auf das Level bringen will, auf dem ich mich auch kulinarisch bewege.

 

Wie das?

Früher wollte ich eigentlich immer Frontmann sein, aber dann bin ich hinterm Schlagzeug gelandet. Man kennt das ja: Da kann man auch schön laut sein und alles. Aber jetzt zieht es mich wieder ganz nach vorne, ich nehme dafür auch seit einigen Monaten Gesangsunterricht. Und meine Gesangslehrerin hat mir mit auf den Weg gegeben: "Du musst Sänger sein und nicht nur Sänger sein wollen." Das ist auch wieder eine Frage des Anspruchs.

 

Muss man dann auch Koch sein und nicht nur Koch sein wollen?

Das trifft auf viele Dinge im Leben zu. Alles, was du sein willst, das musst du auch sein. Und machen.


 

Zur Person

Daniel Gottschlich (am 16. November 1982 in Troisdorf geboren) lernte zunächst Energieanlagen-Elektroniker und absolvierte danach eine Ausbildung zum Koch im Steigenberger Grandhotel Petersberg in Königswinter. 2010 eröffnete er das "Ox & Klee", das 2016 ins Kranhaus im Rheinauhafen umzog. Seit 2019 ist das Restaurant mit zwei Michelinsternen ausgezeichnet. Gottschlich betreibt zudem in der Kölner Altstadt das "Puls – Restaurant & Bar".



Das Interview mit Daniel Gottschlich findet ihr auch in buddy No. 12 - kostenlos in der Szene-Gastronomie erhältlich



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