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Interview: Markus Kavka über die Wirkung von Musik und Musikfernsehen


© Thomas Neukum

Markus, wie hast du als junger Musikhörer das Aufkommen der Musikvideos erlebt?

Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre liefen plötzlich erste Sendungen mit Musikvideos im Fernsehen, und für mich war das die totale Erleuchtung, weil ich endlich Gesichter zu den Bands zu sehen bekam. Klar, man kannte die Gruppen von den Fotos auf den Covern ihrer Platten, und ich habe auch mal Musikzeitungen gelesen. Mithilfe der Videos konnte ich aber zum ersten Mal sehen, wie sich diese Menschen zu ihrer Musik bewegen. Ich konnte sie in kurzen Interviews sprechen hören. Man kann sich heutzutage gar nicht vorstellen, was für einen enormen Zugewinn an Informationen das darstellte.


Gab es für dich ein Schlüsselvideo, das dich besonders fasziniert hat?

"Fade To Grey" von Visage. Das muss ich Anfang 1981 zum ersten Mal gesehen haben, in einer Musikvideosendung im Bayerischen Fernsehen, die einmal in der Woche lief. Ich kannte den Song bereits aus dem Radio, fand ihn super. Dieser melancholische Synthie-Pop war genau der Sound, auf den ich immer gewartet hatte – ohne überhaupt zu wissen, dass er existiert. Und das Video war für die damalige Zeit bahnbrechend, es hatte einige technische Tricks zu bieten. Dem Sänger Steve Strange wurde eine Schlange auf den Körper gemalt, sensationell! Überhaupt, diese Epigonen der englischen New-Romantic-Bewegung zu sehen, war sehr aufregend. 


Haben Musikvideos generell beeinflusst, wie du einen Song bewertet hast?

Ja, klar. Es gab mittelmäßige Songs, die durch ein Top-Video zu einer großen Sache wurden. Es gab aber auf der anderen Seite auch sehr gute Songs, die durch ein beschissenes Video verloren haben.


Zum Beispiel?

Es gab und gibt eine Menge schäbiger Clips, bei denen man die Band einfach nur in ein Studioset gestellt und den Song hat spielen lassen. Das fand ich immer langweilig, weil dadurch eine Chance verpasst wurde, zwischen einem brillanten Song und seiner Video-Optik eine Einheit herzustellen. Fast jede Rockband hat mindestens einen solchen Clip. Es gibt aber auch andere Gründe, warum ein Video in die Hose gehen kann. Legendär mies ist zum Beispiel der Clip der Pixies zu ihrem Song "Velouria". Vier Minuten Zeitlupe, superbillig gefilmt. Das sollte dem Vernehmen nach auch absichtlich ein Anti-Video sein. Mission erfüllt, kann man da nur sagen. Oder "Radioactive" von Kings Of Leon, in dem die Band pseudo-missionarisch afrikanischen Kids coole Sonnenbrillen und Jeans verpasst und dabei offenbar nicht gemerkt hat, was für einen krass rassistischen Unterton das Ganze hat. Beide Male also: prima Song, finsterer Clip. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.


Inwieweit hat das Musikvideo die Musik verändert?

Das Musikfernsehen hat dafür gesorgt, dass beim Aufbau von Acts direkt auch eine optisch erkennbare Corporate Identity mitgedacht wurde. Vor diesen Videos funktionierte das nur über Cover und Fotos. Das Musikfernsehen hat die visuelle Wirkung vervielfacht. Ich würde behaupten, dass eine Band wie Duran Duran zu Beginn der 80er-Jahre niemals so groß geworden wäre, wenn man das optische Image der Band nicht von Anfang an mit den Musikvideos zusätzlich befeuert hätte. Schaut man sich frühe Clips zu Singles wie "Girls On Film, Hungry Like The Wolf" und vor allem "Wild Boys" an, merkt man, dass Duran Duran schon sehr früh wussten, wo der Frosch die Locken hat. Und das auszunutzen, war ab Anfang der 80er-Jahre von enormer Bedeutung, denn MTV hat die Stars gemacht. Was der Sender in hoher Rotation gespielt hat, wurde auch ein Hit. Singles dagegen, deren Videos MTV ignoriert hat, besaßen kaum eine Chance. 


Das war die frühe Zeit von MTV in den USA. Was änderte sich, als 1993, vor ziemlich genau 30 Jahren, in Deutschland Viva an den Start ging?

Extremer wurde es bereits, als 1987 MTV Europe startete, noch mal krasser entwickelte sich die Sache hierzulande, als Viva auf Sendung ging. Der Sender machte Hits, weil urplötzlich auch deutschsprachige Künstler im Musikfernsehen stattfanden. Die Musikindustrie war darauf gar nicht vorbereitet, für die meisten Acts wurden nicht mal Videos gedreht, warum auch? Bei MTV Europe hatten Bands mit deutschen Texten kaum eine Chance. Als dann Viva begann, gab es zunächst gar nicht ausreichend Videos, die man spielen konnte. Das hat sich dann schnell geändert, nachdem die Musikindustrie erkannt hatte, welche Wirkung Videos haben können. Ab diesem Zeitpunkt wurden in kürzester Zeit ohne Ende Clips rausgeballert.


Was war denn der erste Hit, den Viva gemacht hat?

"Mädchen" von Lucilectric. Die Single war schon länger draußen, ist zunächst mehr oder weniger gefloppt. Erst als Viva das Video auf die Hot Rotation genommen hat, wurde der Song zum Hit. Das ist später in schöner Regelmäßigkeit passiert.


Was auch bedeutet, dass sich die Musik und die Acts dem Medium anpassen mussten.

Ja, aber das geschieht ja immer wieder, auch jetzt beim Streaming: Die Produktionsform passt sich an die Technik an – mit der Folge, dass die fürs Streaming optimierten Stücke mit einer Hook einsteigen und die Veranstaltung nach zweieinhalb Minuten vorbei zu sein hat. Wobei das Musikfernsehen nicht nur die Musik verändert hat, sondern auch Fernsehen als Medium.


Auf welche Weise?

Die Wackelkamera zum Beispiel, die hat Ray Cokes bei seiner MTV-Show "Most Wanted" ins Spiel gebracht. Oder das Anarcho-Fernsehen im Stil von Stefan Raab.


Was auffällig ist: Die Liste der Leute, die heute innovativ in Fernsehen oder Kino unterwegs sind und beim Musikfernsehen gelernt haben, ist lang. Um ein paar Namen zu nennen: Nora Tschirner, Heike Makatsch, Collien Ulmen-Fernandes, Sarah Kuttner, Christian Ulmen, Klaas Heufer-Umlauf, Joko Winterscheidt – und das ist nur eine kleine Auswahl.

Das ist kein Zufall und konnte in dieser Form nur im Musikfernsehen passieren.


Warum?

Weil man bei MTV und Viva von Anfang an auf drei Dinge geachtet hat. Erstens darauf, dass die Moderatoren auf Augenhöhe mit den Zuschauern operierten. Es gab nicht diese typische Kluft zwischen den Menschen im Fernsehen und dem Publikum. Oder anders ausgedrückt: Die, die vor der Glotze saßen, konnten sich mit den Leuten vor der Kamera identifizieren, so etwas gab es im Fernsehen zuvor nicht. Der zweite entscheidende Aspekt war, dass man beim Casting darauf achtete, dass diese sogenannten VJs zusätzlich irgendetwas Besonderes besitzen, Ecken und Kanten. Das Tolle war, und das ist der dritte Punkt, dass es bei Viva und MTV niemanden gab, der diese Leute hätte verbiegen wollen. Man durfte sich vor der Kamera ausprobieren, durfte seine Persönlichkeit entfalten. Deshalb sind so viele Talente aus dieser Zeit hervorgegangen.


© Thomas Neukum

Du kamst Mitte der 90er-Jahre zu Viva. Hast du den großen Einfluss des Senders auf die Musikindustrie, die damals ja noch sehr viel Geld verdient hat, direkt mitbekommen?

Ja und nein. Der Sender hatte eigentlich immer wenig Kohle, daher wurden viele Ideen, die heute wahnsinnig künstlerisch wirken, aus reiner Budgetknappheit geboren. Ein Beispiel: Es gab bei Viva Zwei eine Nachrichtensendung mit Rocco Klein. Ein Studio dafür gab es nicht, das war zu teuer. Also funktionierte man den Fahrstuhl als Studio um. Rocco fuhr rauf und runter und moderierte. Auf der anderen Seite profitierten wir davon, dass die Musikindustrie in diesen Jahren viel Geld scheffelte. Die CD war das große Ding, die Labels veröffentlichten die alten Platten einfach noch mal, auf einem teureren Tonträger mit deutlich weniger Produktionskosten. Damit verdienten sie doppelt und dreifach. Auch das Geschäft mit neuen Acts lief gut – und zwar auch, weil das Musikfernsehen der Pop- und Rockmusik eine neue Plattform gab.

 

Wie hast du als Musikjournalist vom damaligen Reichtum der Musikbranche profitiert?

Es gab irre viele Einladungen zu Interviews, die in aller Welt stattfanden. In dieser Hinsicht wurden wir hofiert, das begann schon, als ich noch für Magazine arbeitete – und setzte sich bei Viva und MTV fort.

 

Was war die abstruseste Reise?

Kennen Sie die australische Band Silverchair? Die haben damals eine Art Grungerock gespielt. Die Band hatte ihr zweites Album fertig, das groß rauskommen sollte, noch kannte die Gruppe aber kaum jemand. Also ging es in der Business Class mit Zwischenaufenthalt in Hongkong nach Sydney, um von dort mit der Limousine nach Newcastle zu fahren, der Heimat der Band, wo dann eine Homestory produziert werden sollte. An Bord des Fliegers wurde ich gefragt, ob man meine Maße nehmen dürfe, man würde mir bis zur Landung in Sydney einen maßgeschneiderten Anzug anfertigen.

 

Und, hast du zugestimmt?

Nein, denn ich habe zu der Zeit überhaupt keine Anzüge getragen. Im Nachhinein erfuhr ich, dass Nick Cave dieses Angebot sehr gerne in Anspruch genommen hat. Wie auch immer, Business-Class-Flüge nach New York oder Los Angeles gab es sehr viele, zu Interviews mit Bands, an deren Namen ich mich heute nicht mehr erinnern kann, so schnell waren sie wieder weg vom Fenster. Das war eine tolle Zeit – nur nicht für meine Klimabilanz.

 

Einige Jahre lang war das Musikfernsehen das Schlüsselmedium für die Pop- und Rockmusik, heute spielt es kaum noch eine Rolle. Hast du diese Entwicklung kommen sehen?

MTV ist damals in den USA mit dem sehr markigen Slogan "Video Killed The Radio Star" an den Start gegangen. An einem bestimmten Punkt war uns klar, dass das Internet für das Ende des linearen Musikfernsehens sorgen wird. Es existiert heute noch, ich moderiere ja nicht ohne Grund seit ein paar Jahren bei Deluxe Music. Aber natürlich hat das Musikfernsehen nicht mehr die Breitenwirkung und Innovationskraft von früher. 

 

Worin begründet sich deine große Leidenschaft für die Musik?

Mit zehn, elf Jahren war Musik für mich eine Erfüllung. Ich saß in meinem Dorf in Bayern und hatte das Gefühl, dass mit der Musik eine ganz neue Welt für mich aufgeht. Das war wichtig, denn mich erschlich schon früh das leicht unbehagliche Gefühl, dass mir die Welt in der oberbayerischen Provinz zu klein und zu eng ist. Ich war damals eher ein Außenseiter im Dorf, begann schon als Zwölfjähriger, an mir herumzustylen, andere Klamotten als die anderen zu tragen. Da habe ich direkt komische Blicke geerntet, die Leute fanden mich seltsam. Das war auch die Zeit, als ich angefangen habe, meine Nächte heimlich vorm Radio zu verbringen und Tapes mitzuschneiden. Es gibt frühe Mixtapes von mir aus dem Jahr 1980, da sind ABBA und Smokie drauf, dazu "Der Nippel" von Mike Krüger, damals ein Superhit, aber auch schon Sachen wie Visage.

 

Der Nippel spielte irgendwann keine Rolle mehr …

… dafür Electropop und New Wave umso mehr. Ein Jahr später entdeckte ich Soft Cell, The Cure und eben Depeche Mode. 1981 – das war für mich das Jahr der musikalischen Erleuchtung. Ich hatte das Gefühl, in diesem Sound ein zweites, größeres Zuhause gefunden zu haben. Ein Zuhause, das ich mit Gleichgesinnten teilen durfte, die ich zu dem Zeitpunkt noch gar nicht kannte. Man hat sich imaginär vernetzt mit den Leuten, die eben auch diese Musik gehört haben. Spätestens durch die ersten Konzerte, die ich besucht habe, und eben die Musikvideos, bei denen die Bands zu sehen waren, habe ich mich endgültig zugehörig gefühlt. Ich weiß gar nicht, wie viele Tage und Nächte ich nonstop musikhörend in meinem Kinder- und Jugendzimmer unterm Dachboden zugebracht habe. Ich hatte nicht das Verlangen, mich – abgesehen von meinen zwei, drei besten Kumpels – mit irgendwelchen Idioten auseinanderzusetzen. Es schien mir, dass ich meine Zeit besser nutze, wenn ich Musik höre. 

 

Jahre später hast du die Bands, die für dich als Teenager eine Erleuchtung waren, zu Interviews getroffen. Wie nervös warst du?

Natürlich war ich wahnsinnig aufgeregt, als ich zum ersten Mal Robert Smith von The Cure oder Depeche Mode getroffen habe. Ich hatte keinen Bock, mich vor ihnen zu blamieren. Sie kamen mir eher wie größere Brüder als wie riesige Stars vor. Wobei die Situation bizarr war: 1981 lernte ich diese Bands kennen, 20 Jahre später treffe ich sie für MTV, um sie zu interviewen. Das Schöne war, dass das Gefühl, es handelt sich um große Brüder, durch die Begegnungen nicht zerstört wurde.

 

Ihr Vater hat dir einmal beinahe ungläubig gesagt: "Junge! Musikjournalismus ist doch kein Beruf, das ist doch ein Hobby!"

So falsch lag er da gar nicht, für mich war es zum Glück beides. Meine Eltern haben früh gemerkt, dass ich für Musik brenne. Mit 13, 14 Jahren habe ich tütenweise Platten in die Schule geschleppt, weil ich der Meinung war, die Leute in meiner Klasse haben einen beschissenen Musikgeschmack – ich wollte sie bekehren.

 

Hat das funktioniert?

Nö, in den meisten Fällen habe ich nur Schulterzucken geerntet. Aber im Prinzip hat sich mein missionarischer Eifer nicht verändert: Ich möchte, dass die Musik, die ich gut finde, von mehr Leuten gehört wird. Nur der Hebel ist ein bisschen größer geworden.


 

Zur Person

Markus Kavka (geboren am 27.6.1967 in Ingolstadt) wuchs im Dorf Manching in Oberbayern auf. 1995 begann er seine Laufbahn beim Musiksender Viva, 1998 wechselte er zu Viva Zwei, von 2000 bis 2009 war er Moderator und Producer bei MTV Germany und moderierte die Nachrichtensendung "MTV News". Seit 2015 ist Kavka bei Deluxe Music zu sehen. Darüber hinaus ist er Radiomoderator, Podcaster und DJ für elektronische Musik. Markus Kavka lebt in Berlin.

 

Die Viva Story – zu geil für diese Welt!

Am 01.12.1993 hängen Heike Makatsch, Mola Adebisi und Nils Bokelberg in einem Studio rum, das aussieht wie ein Dachboden und spielen als ersten Clip der Geschichte des deutschen Musikfernsehens "Zu geil für diese Welt" von den Fantastischen Vier. Zum 30. Jahrestag startete in der ARD-Mediathek eine Doku über das, was danach bei Viva und seinem späteren Ableger Viva Zwei passierte. Moderiert wird die Doku von Collien Ulmen-Fernandes, Nils Bokelberg und Markus Kavka.


MTViva liebt dich

Markus Kavka und sein Co-Autor Elmar Giglinger haben ihr Buch als Oral History angelegt:

Auf Basis von Interviews mit Protagonisten der Ära entstand ein Rückblicktext, bestückt mit Erinnerungen. Dazu mussten Kavka und Giglinger Unmengen an Interviewmaterial sichten, abhören und verschriftlichen. Die Arbeit hat sich gelohnt: "MTViva liebt dich" hält, was der Untertitel verspricht, und bietet auf 528 Seiten "die elektrisierende Geschichte des deutschen Musikfernsehens".


Das Interview mit Markus Kavka findet ihr auch in buddy No. 12 - kostenlos in der Szene-Gastronomie erhältlich

 

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