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Interview: Kultur-Tausendsassa Heinz Strunk über seine Nischen-Geschichten


© Dennis Dirksen

Heinz, in vielen deiner Bücher beschreibst du Menschen, die ansonsten kaum in der Literatur vorkommen. Was ist das für ein Milieu – und warum findet es außer bei dir keinen Platz in Romanen oder Erzählungen?

Stimmt schon, auf solche Figuren trifft man fast nie. Glaube ich zumindest, denn ganz verifizieren kann ich das nicht, weil ich aktuell fast ausschließlich nordamerikanische Erzähler oder den Briten Ian McEwan lese. Ich habe noch nie ein Buch von Juli Zeh, Sebastian Fitzek oder Dörte Hansen in den Händen gehabt, kenne die deutschen Topseller also nicht. Aber ich glaube dennoch, mir das Urteil erlauben zu können, dass Charaktere, denen ich mich gerne widme, dort eher nicht auftauchen. Das ist im Fernsehen ja genauso, weshalb wir damals diesen schönen Erfolg mit dem Film "Jürgen" hatten. Wenn solche Leute wie er im Fernsehen behandelt werden, dann in Krimis, in denen sie das Mordopfer sind, in ZDF-Sozialreportagen oder in Reality-Formaten bei RTL 2. Was das für ein Milieu ist? Ich finde, es ist die Normalität und spiegelt die große Mehrheit der Bevölkerung. Und es kommt selten vor, dass diese Leute mit ihren Sorgen und Nöten literarisch oder dramaturgisch verhandelt werden. Warum nicht? Keine Ahnung. Eigentlich bin ich dankbar dafür, weil ich mich ein bisschen darauf spezialisiert habe, ohne es je bewusst geplant zu haben. Es hat sich einfach so ergeben. Mich interessiert das. Zumal ich diese Sorgen und Nöte ja auch aus eigener Erfahrung kenne. 

 

Was viele dieser Figuren eint: Sie meinen, bis zum Ende die kommunikative Hoheit über das Geschehen behalten zu müssen, auch wenn offensichtlich ist, dass sie grotesk scheitern und vor die Hunde gehen. In deinem aktuellen Geschichtenband "Der gelbe Elefant" gibt es zum Beispiel den Coach Felgentreu in der Geschichte "Mensch vs. Taler", der glaubt, im Angesicht eines Neandertalers weiterhin seine Sprüche klopfen zu müssen.

Weitere Möglichkeiten bleiben ihm ja nicht. Er hat nur die Durchsetzungskraft seines Baritons, mit der er Kunden zu Abschlüssen und Frauen ins Bett zu quatschen vermag. Seine Stimme ist sein Kapital, und warum sollte das nicht auch bei einem waschechten Neandertaler funktionieren?

 

Es geht nicht gut aus.

Nee, das tut es nicht. Aber ich fand das lustig, dass er es ernsthaft mit seinen bescheuerten Froschgeschichten probiert, mit den Fröschen im Butterfass oder denen im Topf.

 

Du widmest dich diesem Business-Talk, diesem Coaching-Vokabular immer wieder, früher in der Sendung "extra 3", nun in dieser Geschichte und in einem Kalender mit dem Titel "Maximize Your Life 2024". Was interessiert dich an dieser Sprache?

Diese völlig ungelenke Sprache und die unfreiwillige Komik, die damit verbunden ist. Es gibt auch immer wieder Nachschub, aktuell bei diesen ganz jungen Arschlöchern, die auf YouTube dafür werben, dass man mit 20 Jahren schon die ersten Millionen verdienen kann. Die Prämisse dieser Leute lautet ja: "Du kannst alles, wenn du es nur willst und die richtigen Gedanken hast." Auf das Mindset kommt es an – was aber völlig außer Acht lässt, dass unterschiedliche Leute ganz unterschiedliche Temperamente und Begabungen mitbringen. Und dass man die alle erst auflösen muss, um sie dann über einen Kamm zu scheren. Für mich ist das eine groteske und schreckliche Welt.

 

Und daher interessant.

Genau. Früher wurde sie nur von mittlerweile etwas in die Jahre gekommenen Figuren wie Jürgen Höller oder Bodo Schäfer bevölkert. Aber mittlerweile sind da noch ganz andere unterwegs, der Bruder von Oliver Kahn, Axel Kahn, zum Beispiel, der ist auch Coach. Oder der Bruder von Luke Mockridge, Matthew, der ist der Schlimmste, finde ich. Ich habe mir dessen Bücher gekauft, sagenhaft. Da steht ja nicht nur drin, wie man an die Millionen kommt, sondern auch, wie man Frauen rumkriegt. Das ist der Wahnsinn.

 

Und das liest du abends als Gute-Nacht-Lektüre?

Na ja, manchmal macht's Spaß. Aber eigentlich war das eine Recherche für den Film "Jürgen", in dem es ja darum geht, dass zwei arme Willis auch mal eine Frau kennenlernen wollen. Da war das Sekundärliteratur.

 

Steuerlich absetzbar.

Nee, um Gottes willen. Sie wollen gar nicht wissen, was ich steuerlich alles nicht absetze. Ich finde diese Typen sehr peinlich, die alle Scheißquittungen sammeln und alles als Geschäftsessen deklarieren: "Ah, schon wieder die Steuer um 45 Euro beschissen, hehe." Das macht den Abend traurig, aber wenn man es nötig hat, dann muss man es halt machen.

 

Wenn man deine Geschichten liest, fällt auf, dass du noch etwas nicht magst: Wohnmobile.

Allerdings, und ich kann dir drei entscheidende Argumente gegen Wohnmobile nennen. Sie behindern den Verkehr, verschandeln die Gegend und verbrauchen unverantwortlich große Mengen an Ressourcen. Das sind, wie ich finde, drei ordentliche Argumente gegen diese Fahrzeuge.

 

Und was ist mit den Menschen, die darin unterwegs sind?

Keine Ahnung. Wohnmobile sind mir derart fremd, dass ich mir nicht zusammenreimen kann, aus welchen Gründen man mit Tempo 90 unterwegs sein will und es erstrebenswert findet, in diesen fahrenden Särgen zu schlafen.


Du giltst als Mensch, der nur ungern Urlaub macht, weil du dich in der Fremde wirklich fremd fühlst. Da wäre ein Wohnmobil als fahrender Zuhause-Ersatz doch eine gute Option.

So gesehen hast du recht. Aber meine Argumente bleiben trotzdem bestehen. Hinzu kommt: Ich bin überzeugter SL-Fahrer. Ich habe kaum Hobbys, es gibt nur wenige Dinge, bei denen ich sage: "Da hab‘ ich jetzt mal Lust drauf." Aber das Fahren mit dem SL gehört dazu. Wenn ich auf Tournee bin, Autobahnen weitestgehend vermeide und stattdessen schön mit dem offenen SL über Kreis- und Landstraßen fahre. Das macht mir Spaß.


So wie dem Protagonisten Felgentreu aus deiner Neandertaler-Geschichte, der von Düsseldorf nach Bochum über Landstraße fährt.

Genau, denn das habe ich auch mal gemacht, da liegt der Ursprung der Geschichte. Ich war in Düsseldorf in diesem furchtbaren NH-Hotel, über das ich schreibe, und bin von dort in Richtung Bochum gefahren, über die Landstraße. Dabei kam ich an einem grünen Schild vorbei mit der Aufschrift "Neandertal". Da dachte ich: Aha, interessant, hier ist das also.

 

Liegen den meisten deiner Geschichten eigene Erfahrungen zugrunde?

Das ist ganz oft der Fall. Bestimmt bei zwei Dritteln meiner Geschichten. Und wenn es nur um eine Zeile geht. Wobei das andere Drittel komplett ausgedacht ist.


Deine Bücher verkaufen sich gut. Ist das der Beweis dafür, dass die Leserschaft Lust auf die Normalität des menschlichen Scheiterns hat?

Es kann schon sein, dass einige Leute langsam die Lust daran verlieren, ewig diese gleichen Inszenierungen von vermeintlich erfolgreichen, glücklichen Leben zu betrachten, wie sie beispielsweise auf Instagram zu sehen sind. Ich finde das so öde und eindimensional.

 

Die Leser scheinbar auch – und sie bringen deine Ostsee-Urlaubsdystopie vom Sommer in Niendorf auf die Bestsellerliste.

Wobei man sagen muss, dass sich das Niendorf-Buch bis jetzt 140.000 Mal verkauft hat. Das ist nicht schlecht, da will ich nicht meckern. Aber obwohl ich einigermaßen erfolgreich bin, ist meine Arbeit immer noch totale Nische. Ich hole nur einen kleinen Teil der Bevölkerung ab, und das Potenzial ist auch gar nicht größer, es sind vielleicht zwei, drei, vier Prozent der Deutschen, die das, was ich mache, potenziell gut finden. Den großen Rest interessiert das nicht. Ich habe 25.000 Instagram-Follower. Wie viele hat eine RTL2-Nase, die bei "Love Island" dabei war? Ne halbe Million.

 

Du bist nicht privatfernsehbekannt.

Nee.

 

Kannst aber ungestört einkaufen gehen und mit offenem SL über die Landstraße fahren.

Wenn ich in Einkaufspassagen unterwegs bin, kennt mich sowieso keiner, weil da nicht meine Leute sind. Hier in der Schanze in Hamburg, wo ich lebe, da kennt man mich natürlich, aber das ist eine Art Fantasy-Island, wie es das in bestimmten Teilen von Köln, Berlin oder Frankfurt auch gibt. Diese Teile haben mit dem Rest von Deutschland nichts zu tun. Einige dieser normalen Leute haben vielleicht mal meinen Namen gehört, mich bei "3 nach 9" gesehen oder den Satz "Fleisch ist mein Gemüse" gehört, der ja zu einem geflügelten Wort geworden ist. Ihn meiner Person zuordnen, können sie aber nicht.

 

Ist das nicht die perfekte Form von Prominenz?

Ja, es ist für mich durchaus vorteilhaft, dass die wenigen Leute, die mich kennen, in der Regel gut gebildet, höflich und freundlich sind. Sie können sich benehmen, und wenn man von ihnen angesprochen wird, dann ist das meist recht angenehm. Mir wird keine Kamera in die Fresse gehalten, nach dem Motto: Foto! Jetzt! So wäre das aber bestimmt, wenn ich über den Boulevard bekannt geworden wäre.

 

Neu in der Produktwelt von Heinz Strunk ist ein Bilderbuch, ein Abenteuer aus dem Käseland: "Die Käsis". Da sind so viele Wortspiele mit Käse drin, dass ich mir nur vorstellen kann, dass du seit Jahren eine Datei pflegst, in der du diese gesammelt haben musst.

Damit liegst du richtig. Ich hatte vor einiger Zeit die Idee, dass zwei Käsesorten in einem Käsereich eine Abenteuergeschichte erleben. Dann habe ich tatsächlich über Jahre hinweg das notwendige Vokabular zusammengetragen, den Bösewicht Beef Jezos, Redewendungen wie „Du hast nicht mehr alle Käsiletten am Zaun“ oder „Schluss jetzt mit den Käsimatenten“. Das hat schon gedauert, bis ich das alles zusammenhatte. Die Story selbst ist dagegen relativ konventionell, eine normale Abenteuergeschichte: Liebespärchen wird verfolgt, muss fliehen und so weiter. Aber ich finde das alles gut, auch das Ende, wenn der Bösewicht in die Feigensenffalle tappt. Wobei vents137, der die Bilder dazu erstellt hat, das kongenial gezeichnet hat. Ich habe erst vor ein paar Tagen ein erstes gedrucktes Exemplar bekommen und dachte: „Ach, das ist doch sehr schön geworden!“ Ich habe aber keine Ahnung, ob das irgendwie einen Nerv trifft, wie Kinder es finden. Bei meinen Romanen kann ich das Potenzial mittlerweile ganz gut einschätzen, aber bei diesem Bilderbuch fällt es mir schwer. Zumal der Markt scheinbar eigene Gesetze hat, es gibt da zum Beispiel diesen Jahrhunderterfolg von Marc-Uwe Kling, „Das NEINhorn“, da touchiert die Auflage, glaube ich, demnächst die Millionengrenze. Das war bei einer solchen Art von Buch noch nie der Fall, das steht da einsam an der Spitze. Ich hatte eine Zeit lang überlegt, ob ich mein Buch sogar selbst gestalte. Das wären dann so Strichmännchen-Zeichnungen auf dem Niveau von Fünfjährigen gewesen, was durchaus auch hätte charmant sein können. Aber es ist rückblickend doch viel besser, einen Profi im Boot zu haben.

 

Hast du, was deine Veröffentlichungen betrifft, eine gute Qualitätskontrolle?

Ich denke schon, ja. Es ist eine Mischung aus „Raushauen und mal sehen, was passiert“ und „Vorher unbedingt anderen zeigen – und auf deren Rat hören“. Bevor ich etwas veröffentliche, ist das Werk durch sehr viele Hände gegangen. Sei es das Lektorat oder seien es Freunde, denen ich dahingehend vertraue, dass sie mir sagen würden, wenn sie glaubten, dass ich noch ein bisschen daran arbeiten sollte, oder dass das Thema zu schwach wäre. Und ich würde sofort auf sie hören, wenn mehrere Einzelpersonen mir raten würden, die Finger von etwas zu lassen.

 

Kam das schon mal vor, dass Freunde dir eine Veröffentlichung ausgeredet haben?

Nein, noch nie. Wenn ich Musikalben aufnehme, dann bin ich es selbst, der mir als Berater in eigener Sache sagt: „Das wird wieder keinen interessieren, egal, wie aufwendig die Musik und wie innovativ die Texte sind, und schließlich hast du selbst den Satz geprägt: ‚Popmusik ist was von jungen Leuten für junge Leute.‘ Du bist nicht mehr jung, lass das sein!“ Und dann haben diese Alben viel Arbeit gekostet und fast nichts gebracht, ich habe sogar draufgezahlt. Aber gut, dafür lasse ich andere Sachen weg, die viel Zeit fressen und wenig bringen, Kolumnen schreiben oder Podcasts nach meinen Vorstellungen aufnehmen zum Beispiel.

 

Deine Podcasts "Familienaufstellung und Fenster auf Kipp" hatten mit den Laber-Podcasts von heute nichts zu tun, waren eher Hörspielreihen.

Das waren innovative Formate, die damals, 2018, noch möglich waren, weil da eine gewisse Goldgräberstimmung herrschte. Letztlich sind sie aber leider auf zu wenig Interesse gestoßen. Stattdessen haben sich eben diese Laber-Formate durchgesetzt, mit denen jetzt richtig, richtig viel Geld verdient wird. Aber ich will nicht rumjammern, ich bin 61, da wird die Zeit langsam knapp, und ich habe genügend andere Ideen, die ich noch umsetzen möchte. Da muss ich mich nicht auch noch vor ein Mikro setzen und rumlabern.


 

Zur Person

Heinz Strunk, geboren am 17.05.1962 als Mathias Halfpape, bezeichnet sich selbst als Kunst- und Kulturschaffenden mit Schwerpunkt Humor. Strunk versuchte sich zuerst als Musiker, schaffte es aber nur in Tanzbands. Sein erstes Buch "Fleisch ist mein Gemüse" erzählt davon. 2016 gelang ihm mit "Der Goldene Handschuh" der literarische Durchbruch. Strunk lebt im Hamburger Schanzenviertel.

 

Tausendsassa

Heinz Strunk ist multimedial produktiv: Von ihm erschien kürzlich das Bilderbuch "Die Käsis", das ein Abenteuer aus dem Käseland erzählt; der Kalender "Maximize Your Life", eine Satire auf die Sprache der Coaches, und der Geschichtenband "Der gelbe Elefant". Außerdem ist Strunk in der Amazon-Serie "Last Exit Schinkenstraße" zu sehen, die von einem Schlagersänger und dessen letzter Chance auf Mallorca handelt.




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