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Interview: Jens Wawrczeck über seine Hommage an Alfred Hitchcock

  • Redaktion
  • vor 1 Tag
  • 6 Min. Lesezeit
© Christian Hartmann
© Christian Hartmann

Jens, erinnerst du dich an deinen ersten Alfred-Hitchcock-Film – wie, wann und wo hast du ihn gesehen?

Oh ja, ich erinnere mich sogar sehr genau. Das war Mitte der 70er Jahre an einem Samstagabend. Ich saß zwischen meinen Eltern vor dem Fernsehapparat und sah Bei Anruf Mord. Wobei saß eine maßlose Untertreibung ist. Ich klebte förmlich am Bildschirm und verfolgte atemlos, wie sich Grace Kelly in der berühmten Telefonszene gegen ihren Mörder zur Wehr setzt. Dieser Film machte mich zum eingeschworenen Hitchcockianer.

 

Was hast du empfunden? Warum sprach dich dieser Film so nachhaltig an?

Damals hätte ich sicher nicht in Worte fassen können, was mich an dem Film so gefesselt hat. In meinem Buch How To Hitchcock versuche ich es zumindest nachzuvollziehen. Es war die Art und Weise, wie Hitchcock Musik, Kamera, Licht, Farben und seine perfekt besetzten Darsteller zu einem unwiderstehlichen Stück Filmgeschichte zusammengefügt hatte. Das war damals und ist noch heute extrem verführerisch.

 

Wie ging es weiter mit den Hitchcocks und dir?

Ich begann, unsere wöchentliche Fernsehzeitschrift nach weiteren Hitchcock-Filmen zu durchforsten und besorgte mir auch schon sehr bald Mister Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, das bahnbrechende 50-Stunden-Interview, das François Truffaut mit Hitch geführt hat und eines der wenigen Filmbücher, die man damals in Deutschland auftreiben konnte. Dieses Buch wurde mein ständiger Begleiter und machte mich noch neugieriger auf Hitchcocks Werk.

 

Wie war deine erste Begegnung mit Psycho?

Meine erste Begegnung mit Psycho fand im Abaton statt, einem Programmkino in Hamburg. Truffauts Buch hatte mich auf alles vorbereitet – zumindest glaubte ich das. Doch obwohl die Filmkopie in einem erbärmlichen Zustand war – die Tonspur rauschte und das Bild war unscharf – schrie ich entsetzt auf, als Mary Crane unter der Dusche erstochen wurde. Diese Szene hat auch nach fast 70 Jahren nichts von ihrer Wirkung eingebüßt.

 

Was war das Besondere an Psycho?

Hitchcocks ganzes Genie, seine Meisterhaftigkeit als Geschichtenerzähler, trifft uns in Psycho mit ungeheurer Wucht. Dazu die ikonische Filmmusik von Bernard Herrmann, die brillante Kamerarbeit von John L. Russell und das unheimliche Set mit dem Motel und dem viktorianischen Haus, in dem die verrückte Mrs. Bates leben soll. Legendär! Und natürlich das ungemein moderne und differenzierte Spiel von Hitchcocks Hauptdarsteller Anthony Perkins als Norman Bates. Selbst nachdem wir erfahren haben, was Norman alles auf dem Gewissen hat, fällt es uns schwer, ein moralisches Urteil über ihn zu fällen. Das ist auch Hitchcocks Verdienst, der sein Publikum gern in moralische Konflikte stürzt.

 

Gibt es aus deiner Sicht etwas, das den Film von allen anderen Hitchcock-Klassikern unterscheidet?

Hitchcock hat in Psycho mit einigen Tabus gebrochen. Die Hauptdarstellerin Janet Leigh verabschiedet sich bereits im ersten Drittel. Der Mord unter der Dusche gleicht einer Vergewaltigung und war in seiner Heftigkeit für die damalige Zeit völlig neu. Die erbarmungslose Schwarz-Weiß-Fotografie des Films intensiviert die düstere Trostlosigkeit. Psychohinterlässt ein großes Unbehagen, das Finale erlöst uns nicht aus dem zuvor erlebten Alptraum. Kaum ein anderer Hitchcock-Film ist so konsequent wie dieser.

 

Und was verbindet alle Hitchcock-Filme miteinander?

Alle Hitchcock-Filme sind komplexer und vielschichtiger, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Zunächst einmal fesselt uns immer die spannende Handlung, aber die Langzeitwirkung von Hitchcocks Filmen setzt ein, wenn wir uns bewusstwerden, wie tief er uns in unsere eigenen Abgründe schauen lässt.

 

Was ist es, wonach er seine Stoffe ausgesucht hat? Was musste eine Vorlage aus seiner Sicht wohl haben, damit er sagte: „Das taugt zum Film!“?

Ich vermute, dass Hitchcock von ganz unterschiedlichen Aspekten getriggert wurde. Sehr selten war er von einer Vorlage so begeistert, dass er sie werkgetreu auf die Leinwand brachte – wie zum Beispiel bei Immer Ärger mit Harry. Oft gefiel ihm eine Grundkonstellation, ein Grundkonflikt, den er aus der Vorlage übernahm und dann in seine eigene, ganz andere Version einbaute. Daphne du Mauriers Erzählung Die Vögel spielt im herbstlichen, regennassen Cornwall, im Mittelpunkt ein einfaches Farmer-Ehepaar. Bei Hitch wird daraus das sonnendurchtränkte Kalifornien, im Mittelpunkt die makellose Tippi Hedren und der smarte Rod Taylor. Aus meiner Sicht ein geschickter dramaturgischer Schachzug: Wenn die Katastrophe über so eine Idylle hereinbricht, ist es noch beängstigender.

 

In der Ära des Superhelden-Overkills ist ein wunderlicher Motel-Chef mit Mutter-Komplex so unheimlich wie eh und je. Was macht Psycho so zeitlos? Oder nutzt sich der Grusel irgendwann ab?

Für mich ist Psycho vor allem einen Film über Einsamkeit, über Isolation, über Abhängigkeiten – geschickt verpackt in einer furchterregenden Geschichte. Norman Bates, der berühmteste Psychopath der Filmgeschichte, der am Ende mehrere Menschen auf dem Gewissen hat, rührt uns! Hitchcock liefert uns beides gleichzeitig: einen Thriller und eine menschliche Tragödie.


© Christian Hartmann
© Christian Hartmann

Was ist deine Lieblingsszene?

mag ich die Szene, in der Norman Bates Marion Crane zu ein paar Butterbroten und einem Glas Milch in sein Büro einlädt. Das ist wie eine Atempause kurz vor dem entsetzlichen Mord unter der Dusche. Die beiden nähern sich schüchtern an und geben etwas von sich preis. Ihre Lebenssituationen scheinen sich zu ähneln. Beide sind unglücklich, fühlen sich gefangen und wollen eine Veränderung. Hitchcock hat das alles sehr behutsam inszeniert, wie ein Kammerspiel. Diese Szene berührt mich jedes Mal, wenn ich sie sehe.

 

Was würden Sie mit 400.000 Dollar im Kofferraum anstellen?

Habe ich das Geld auf ehrliche Weise verdient oder gestohlen wie Marion Crane? Auf jeden Fall würde ich mir Zeit nehmen und hoffen, dass ich irgendwann die richtige Entscheidung treffe.

 

Das Publikum kennt dich seit Jahrzehnten als Peter Shaw bei den Drei ???, mit Hitch und ich bist du seit 2017 unterwegs – trennen die Zuschauer beides voneinander oder verschwimmen die Grenzen?

Ein Teil des Publikums kommt sicher zu meinen Veranstaltungen, um Peter Shaw zu sehen, und muss dann verblüfft feststellen, dass das, was auf der Bühne stattfindet, mit Peter Shaw nichts zu tun hat.

 

Und wie geht es dir dabei?

Am Ende des Abends freut es mich, wenn Hardcore-Fans der Drei ??? zu Hitchcock-Fans geworden sind und erkannt haben, dass ich nicht Peter Shaw bin. Ich kann nicht genug betonen, wie dankbar ich für den Erfolg der Serie bin, aber ich definiere mich nicht darüber. Ich bin Schauspieler und versuche, möglichst vielseitig unterwegs zu sein. Das ist mir wichtig.

 

Wie oft sitzen die Kollegen Rohrbeck und Fröhlich im Saal, um mal zu checken, was du machst?

Eigentlich nie, dazu sind wir alle zu sehr in unsere eigenen Projekte involviert. Aber Frau Körting, der eigentliche Star der Drei ???, kommt häufiger vorbei.

 

Hast du manchmal das Gefühl, der Meister schaut dir über die Schulter?

Nicht wirklich, aber es ist schon erstaunlich, welchen Raum Hitchcocks Werk gerade im Laufe der letzten Jahre in meinem Leben eingenommen hat. Das Buch How To Hitchcock zu schreiben hat über ein Jahr gedauert, auch die Hitch und ich-Abende und meine Verfilmt von Alfred Hitchcock-Hörbücher nehmen viel Zeit in Anspruch. Ich spiele außerdem mit dem Gedanken, noch ein Album mit Songs aus Hitchcocks Filmen zu veröffentlichen.

 

Welche Musik passt am besten zu Hitchcock?

Hitch hat mit den besten Komponisten seiner Zeit gearbeitet: John Williams, Bernard Hermann, Maurice Jarre. Am besten hört man die Soundtracks zu seinen Filmen. Und dann später vielleicht mein Album mit den dazugehörigen Songs!

 

19 Hörbücher umfasst deine Verfilmt von Alfred Hitchcock-Hörbuchreihe – hast du einen persönlichen Favoriten?

Oh je, das ist, als würdest du den Vater einer mehrköpfigen Familie nach seinem Lieblingskind fragen. Nein, einen persönlichen Favoriten habe ich nicht. Jede Story ist anders, auch der Stil, in dem sie geschrieben wurde. Und jede verlangt ihre eigene Interpretation, ihre eigene Temperatur. Das stellt mich jedes Mal vor neue Herausforderungen – und das ist fantastisch. Allerdings habe ich drei Titel eigens für meine Serie übersetzen lassen: Spellbound – Das Haus von Dr. Edwardes, Berüchtigt – Das Lied des Drachen und Immer Ärger mit Harry. Das war etwas sehr Besonderes. Auch Psychowar ein absolutes Highlight, weil ich so lange warten musste, bis die die Rechte endlich frei wurden.

 

Warum hat es so lange gedauert?

Die Audiorechte an dem Roman hatte der DAV, der bereits eine Lesung mit Matthias Brandt veröffentlicht hatte. Nach jahrelangem, geduldigem Warten wurden die Rechte wieder frei, und ich habe mich sofort auf sie gestürzt. Als ich schließlich den Lizenzvertrag unterschrieb, war das ein sehr besonderer Moment für mich. Meine Verfilmt von Alfred Hitchcock-Hörbuchreihe wäre ohne den Roman, auf dem Hitchcocks erfolgreichster Film basiert, einfach nicht komplett. Natürlich werde ich Psycho auch live auf die Bühne bringen!

 

Was steht als nächstes auf deiner To-Do-Liste?

In Sachen Hitchcock lasse ich gerade einen Roman übersetzen, den Hitchcock unter dem Titel Die rote Lola mit Marlene Dietrich verfilmt hat. In Sachen Drei ??? müssen Sie unsere Produktmanagerin fragen. Welches die nächsten Folgen sind, die wir aufnehmen, und wann sie veröffentlicht werden, da lasse ich mich selbst überraschen.


 

Zur Person

Jens Wawrczeck (am 12. Juli 1963 im dänischen Nykøbing Mors geboren) spielt bereits als Teenager in Hamburg Theater und absolviert später eine Schauspielausbildung. Seit 1979 ist der passionierter Hitchcock-Fan als Detektiv Peter Shaw in der Hörspielreihe Die Drei ??? zu hören und in zahlreichen Theater-Aufführungen zu sehen. Sein Portfolio umfasst viele Hörbuch- und Hörspiel-Produktionen. 2008 gründet Wawrczeck sein Hörbuch-Label audoba und veröffentlicht dort „literarische Kostbarkeiten, die in Vergessenheit geraten sind“. Seit 2017 präsentiert er sein Programm Hitch und ich.

 

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Jens Wawrczek

How To Hitchcock: Meine Reise durch das Hitchcock-Universum

Mit dem 2023 erschienenen Buch lädt Jens Wawrczek zum Trip in den Krimi-Kosmos des Alfred Hitchcock ein – persönlich, begeisternd, überraschend und hochspannend. Der Autor über das Besondere an den Hitch-Klassikern: „Für mich sind Alfred Hitchcocks Filme der freie Fall ins Ungewisse. Oben ist unten. Nah ist fern. Hell ist Dunkel. Gerade das ist Teil des großen Vergnügens. That’s how to Hitchcock.“

256 Seiten | 13 €

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