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Redaktion

Sascha „Ferris“ Reimann über die Kunstfigur Ferris, Familie und die Dämonen von früher.

Aktualisiert: 18. März 2022


Alle hassen Ferris MC
Lee Maas

Ferris, möchtest du Ferris oder lieber Sascha genannt werden?

Beides ist legitim. Ich arbeite mit beiden Namen. Früher war mir mein richtiger Name peinlich, weil ich ihn doof fand, deshalb habe ich mir einen Künstlernamen zugelegt. Aber als Schauspieler möchte ich Sascha Reimann sein, die Leute gehen da sonst befangen ran. Es gibt viele, die Ferris gar nicht kennen und die sollen damit nicht konfrontiert werden.

Dein neues Album veröffentlichst du als Ferris, nicht mehr als Ferris MC.

Genau, weil ich mir diese Freiheit gönnen möchte. Ich möchte rappen, singen und schreien, die musikalische Ausrichtung so legen, wie ich es fühle. Und als MC bist du eingeschränkt, man reduziert dich da drauf.

War Ferris MC für dich früher eine Kunstfigur oder eine Rolle, die du angenommen hast?

Früher war das Eins zu Eins, wenn nicht sogar schlimmer. Aber wenn du über 40 bist, kannst du nicht mehr so sein wie mit 20. Du bist zwar derselbe Mensch, aber du hast dich im besten Fall weiterentwickelt. Als verantwortungsvoller Familienvater tickst du ganz anders als jemand, der Single und voll auf Droge ist und alles verdrängt, was in seinem Hintergrund passiert, der keine Verantwortung übernimmt, nicht mal für sich selbst. Ferris MC ist also irgendwann zu einer Kunstfigur geworden.

Bis dahin war es also eine authentische Kunstfigur.

Ja, ich habe mir den Namen gegeben, um in diese Welt eintauchen zu können, aber im Endeffekt habe ich mein Leben wiedergegeben. Mittlerweile baue ich mein heutiges Ich auch in die Musik ein, aber zitiere vieles aus dem alten Leben.

Der Titel deines neuen Albums Alle hassen Ferris ist sicher nicht frei von Ironie, trotzdem: Wo ist dir Hass begegnet?

Ich hatte zeitweise das Gefühl, ein rotes Tuch innerhalb der Musikindustrie zu sein. Ob bei Labels, TV-Sendern oder Zeitschriften – eine Zeit lang war die Erde verbrannt. Auch bei den Leuten draußen. Ich konnte machen, was ich wollte, es wurde nicht akzeptiert und einfach nicht beachtet. Das ist für mich eine Art von Hass, übertrieben gesagt.

Du hast es dir mit deinem Crossover-Sound, der seit vielen Jahren nicht mehr angesagt ist, nicht gerade leicht gemacht.

Es sagt jeder: Bist du bescheuert, solch einen Sound zu machen? Aber darum geht’s mir nicht. Soll ich in dem ganzen Potpourri an Rappern heute noch versuchen, oldschoolig mitzumischen? Ich fühle das nicht mehr.

Ich glaube, wenn du heute Oldschool-Rap machen würdest, dann wären die Leute, die abschätzig sagen: „Das ist nicht mehr der alte Ferris!“ auch nicht zufrieden, weil sie nicht den alten Ferris zurückhaben wollen, sondern die alten Zeiten.

2017 habe ich mit „Asilant“ den alten Ferris wieder aufleben lassen, und es ist voll gescheitert, weil ich gemerkt habe: Ich bin es nicht mehr. Also musste ich musikalisch und thematisch wieder zu mir selbst finden. Ich mache heute genau die Musikrichtung, die ich fühle, und die Dämonen von früher bekommst du sowieso nicht raus. Mein familiärer Background und die Erlebnisse, die mich geprägt haben, die bekomme ich verarbeitet, aber sie kleben auf der Seele. Daraus generiere ich die Energie und die Wut, die ich auf die Bühne und in die Musik kanalisiere, aber nicht mehr in mein Privatleben. Ich möchte ein gutes Vorbild sein für meine Tochter und für meine Frau. Ich habe Verantwortung übernommen, mit der ich gewachsen bin.

In deiner Biografie „Ich habe alles außer Kontrolle“ machst du deine schlechten Erfahrungen in der Kindheit insbesondere an deinen wechselnden Stiefvätern fest.

Ich war ungefähr fünf, als die Ehe meiner Eltern kaputtging. Meine Mutter hat sich in den Seefahrer verliebt, der bei uns in der Einliegerwohnung gelebt hat. Das war einer der alkoholkranken Stiefväter, die ich nach und nach hatte. In einer Nacht- und Nebelaktion ist sie mit mir abgehauen. Mit dem Seefahrer haben wir an verschiedenen Orten gewohnt, 1980 sind wir in Bremen Tenever gelandet, in einem sozialen Brennpunkt. Als sich die beiden getrennt haben, kam gleich der zweite alkoholkranke Stiefvater und danach der dritte. Mit 16 bin ich ausgezogen und in Tenever geblieben.

Einen Vater hast du also nie wirklich gehabt?

Genau, die väterliche Hand hat mir gefehlt. Mir wurden keine Werte beigebracht. Deren Werte waren, dass ich als kleiner Junge Alkohol besorgen sollte, mit einem Zettel und deren Unterschrift. Meine Mutter war komplett überfordert. Sie ging morgens arbeiten, kam abends wieder und dann gab es eigentlich nur Stress. Ich hatte weder eine Mutter noch einen Vater, die mich erzogen haben oder mir etwas gegeben haben, woran ich mich festhalten konnte. Das musste ich mir Schritt für Schritt selbst aneignen, erfahren und durchleben – meistens mehr schlecht als recht.

Das klingt hart, auf sich allein gestellt zu sein, ohne ein entsprechendes Umfeld.

Du wirst von deinem Umfeld geprägt und möchtest flüchten – da sind Drogen der einfachste Weg, sie machen Spaß und man muss sich der Realität nicht stellen. Wenn du 13 oder 14 bist, denkst du nicht darüber nach, sondern handelst einfach.

In der Zeit fing es bei dir mit den Drogen an?

Ja, ungefähr. Man ist schnell in diesem Kreislauf drin, aus dem man nur herauskommt, wenn man Leute hat, die einem helfen, oder wenn man es so übertreibt wie ich und dein Geist, deine Seele und dein Körper irgendwann sagen: Schluss! Jetzt verpasse ich dir Panikattacken und alles, was mit Angst zu tun hat, damit du mal klarkommst, die Finger davonlässt und anfängst, dein Leben zu verarbeiten.

An welchem Punkt, hast du aufgehört?

Zwischen 29 und 32 habe ich gemerkt: Ich habe so viel konsumiert, dass die Regenerationsphase länger ist als der Flash. Wenn man anfängt, Drogen zu konsumieren, ist das Runterkommen noch angenehm. Nach ein paar Jahren baut der Körper aber ab, irgendwann hatte ich eine Woche lang an meinem Konsum zu knabbern. Ich habe mir gesagt: Digga, das lohnt sich nicht, wegen einer Pillennacht ein bis zwei Wochen nicht am Leben teilnehmen zu können. So habe ich Respekt vor Drogen gefunden. Ich hatte zum Glück keine körperlichen Entzugserscheinungen, was ganz anders war, als ich später mit dem Kiffen aufgehört habe.

Du hast also erst die anderen Drogen aufgegeben und weiter gekifft?

Genau, bei Marihuana habe ich gedacht: Das ist mein Weed, pflanzlich, bio und so, das kann ich mein ganzes Leben lang nehmen. Aber dem war nicht so, und daran habe ich richtig geknabbert.

Du hast unfreiwillig aufgehört. Wie kam es dazu?

Marihuana hat mich gefickt, körperlich und seelisch. Ich musste kotzen, hatte Panik und Angst ohne Ende. Ich dachte, ich bin körperlich am Ende, der Arzt sagte aber, es sei alles in Ordnung. Es lag nur an dem scheiß Weed. Ich habe aufgehört, weil es mir nicht guttat. So habe ich neue Freiheiten kennengelernt: Ich konnte mir ein Auto leihen und musste keine Angst vor den Bullen haben. Ich konnte Urlaubsreisen machen, ohne meinen Weedkonsum befriedigen zu müssen. Ich bin mal mit 40 Gramm nach Ägypten geflogen, das hätte meine Todesstrafe bedeuten können. Das musste ich alles nicht mehr machen. Das war eine andere Art von Glücksgefühl.

War es auch schwer, das Kiffen aufzugeben, weil es Teil deiner Identität war?

Das war der Kampf des Jahrhunderts für mich. Wer bin ich denn ohne Marihuana? Alles, was mit meinem Leben und der Musik zu tun hatte, hatte mit Marihuana zu tun. Ich konnte keine Texte mehr schreiben, habe in der Zeit aufgehört zu rappen und nur noch Elektromusik gemacht und aufgelegt. 2008 bin ich bei Deichkind eingestiegen und habe wieder Schritt für Schritt gelernt zu schreiben, allerdings im Team. Allein tue ich mich bis heute schwer.

Heute rauchst du nur noch E-Zigarette?

Genau, ich habe mit richtigen Zigaretten aufgehört, als meine Frau schwanger wurde. Ich habe zwischendurch, weil es ja legal war, auch mal einen CBD-Joint geraucht, weil das schmeckte und roch wie THC-gefülltes Gras. Und ich glaube, wenn Cannabis legal ist, würde ich mich da auch noch mal ran trauen, weil ich in einem fortgeschrittenen Alter bin, vieles verarbeitet habe und mit beiden Füßen im Leben stehe.

Hättest du keine Angst, eine Art Rückfall zu erleiden?

Ich hätte eher Angst, dass es negativ reinfährt. Einen Rückfall in der Art, dass ich wieder unkontrolliert konsumiere und den alten Lifestyle fahre – das glaube ich nicht. Da bin ich drüber hinweg.

Ferris MC Alle hassen Ferris
Lee Maas

Du hast eine Frau und mit ihr eine dreijährige Tochter. Meinst du, deine eigene Kindheit hat Einfluss auf deine Rolle als Vater? Hast du das Gefühl, dass du alles besonders gut und richtig machen möchtest?

Ja, voll. Erstmal bin ich kein strenger Vater, das kann man aber auch nicht bei einem Baby oder Kleinkind. Meine Frau ist auch ein totaler Familienmensch, auch wenn sie ebenfalls einen harten Background hat. Wir wissen, welche Fehler unseren Eltern gemacht haben, diese Fehler wollen wir vermeiden. Wir möchten die Erziehung an die Bedürfnisse unseres Kindes anpassen und immer für unsere Tochter da sein.

Hast du heute noch Kontakt zu deinen Eltern?

Meine Frau hat mich überzeugt, den Kontakt zu meinem Vater wieder herzustellen, damit unsere Tochter einen Opa hat. Mein Vater wohnt in Neumünster, deswegen sieht sie ihn sowieso nicht oft. Meine Mutter wohnt in Rheinland-Pfalz, mit ihr telefoniere ich alle paar Monate. Ich kann meinen Eltern heute keine Vorwürfe mehr machen, dafür sind sie zu alt. Das bringt auch nichts mehr. Deren Wahrheit ist eine andere Wahrheit, die beschäftigen sich nicht mit psychischen Belastungen. Die wollen die Vergangenheit vergangen sein lassen, und ich denke: Wollt ihr mich verarschen?

Also unterhaltet ihr euch schon über das, was früher war?

Ja, meine Mutter würde gerne öfter telefonieren, aber ich habe ihr klargemacht, dass man bekommt, was man sät. Wenn du dein Kind in jede Kur steckst, die es nur gibt, und es immer abschiebst und im Endeffekt gar keine Erziehung leistest, wie willst du dann von mir erwarten, dass ich eine Verbindung zu dir habe. Ich habe weder eine Mutter, von der ich sagen würde, die liebe ich über alles, geschweige denn einen Vater, von dem ich sage, dass ich ihn liebe. Ich frage mich manchmal sogar, ob es besser gewesen wäre, wenn meine Eltern nicht in meinem Leben gewesen wären. Wenn ich sie nicht kennen würde, würde ich vielleicht denken: Die wären bestimmt cool gewesen. Das klingt extrem, aber man setzt sich in so einer Situation damit auseinander.


War die Pandemie ausschlaggebend dafür, dass du deine Biografie aufgeschrieben hast?

Nein. Meine Frau hatte ein Exposé für einen Roman eingereicht und ein Verlag hat gesagt, wir machen das, aber da soll Sascha Reimann, also Ferris draufstehen. Das wollten wir aber nicht. Die Lektorin eines anderen Verlags sagte zu dem Exposé meiner Frau, dass weibliche Hauptfiguren es in einem Buch schwer haben und man schlecht einen Deal bekommt. Sie gab uns aber den Tipp, meine Biografie zu schreiben. Und weil ich möchte, dass meine Frau ihre Talente ausleben kann und einen Fuß in die Welt der Schriftstellerei bekommt, habe ich gesagt: Wir machen das zusammen. Meine Frau kann alles super und schnörkelig beschreiben, aber mir war wichtig, dass mein Wortlaut drinbleibt, dass es so klingt, wie ich spreche. Irgendwann wollte ich sowieso eine Biografie veröffentlichen. Schwer war die Entscheidung trotzdem, weil ich wusste, ich muss an vielen Stellen die Hosen runterlassen.

In der Tat. Nur über dein Aus bei Deichkind hast du wenig geschrieben.

Das haben wir absichtlich kurzgehalten, ich hatte keinen Bock, dass wir irgendetwas Negatives schreiben und ich das mit den Jungs klären muss. Ich möchte auch nicht nachtreten.

Ist dir die Trennung und die Zeit danach schwergefallen?

Das war Hardcore. Ich musste zwei, drei Jahre daran knabbern. Ich wäre gerne weiter bei Deichkind geblieben, aber ich wurde vor eine Entscheidung gestellt, die ich am liebsten nicht hätte treffen müssen. Es ging mal wieder um das scheiß Geld, sie haben mir nach zehn Jahren weniger angeboten und wollten mir eine feste Gage pro Auftritt geben. Das fand ich unfair, weil ich den ganzen Weg mitgegangen bin. Sie wollten, dass ich nur noch Dienstleister bin, aber dann hätte ich auch KFZ-Mechaniker bleiben können. Also gehe ich lieber das Risiko ein: Entweder ich gehe komplett unter oder ich habe die Möglichkeit, etwas zu erreichen, bei dem keiner die Grenzen setzt. Ich hoffe, das Universum sieht es irgendwann so, dass es die richtige Entscheidung war.

Du siehst es aber nach wie vor so?

Wenn plötzlich die Pandemie kommt und der Erfolg noch nicht so da sein kann, wie man es erhofft hat, dann überlegt man schon: Hätte ich vielleicht doch den schlechteren Deal eingehen sollen? Aber ich weiß nicht, ob ich damit glücklich geworden wäre. Das wäre nur noch „Hallo – Stempelkarte – okay, Geld“ gewesen – dafür habe ich nicht angefangen, Musik zu machen.

 

Zur Person

Sascha Reimann ist seit Mitte der 90er als Rapper Ferris MC bekannt. Mit Afrob veröffentlichte er einen der größten Deutschrap-Hits der 90er: „Reimemonster“. Reimann war Mitglied bei Deichkind, macht heute als Ferris Punk-Rap und ist als TV-Schauspieler aktiv. Das Album "Alle hassen Ferris" erscheint am 25. März, die Biografie "Ferris - Ich habe alles außer Kontrolle" am 1. April.

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