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Redaktion

Interview: Maximilian Kreuzer über seinen Job als Tatortreiniger und wie nah er an der TV-Serie ist.


Ist das Blut, und wie krieg ich das weg? Wer nach einem Leichenfund nicht weiterweiß, ruft am besten bei Maximilian Kreuzer an. Der junge bayerische Tatortreiniger weiß, wie man hartnäckige Flecken entfernt und penetranten Gestank aus Wohnungen vertreibt.

Der Tatortreiniger Kreuzer

Maximilian, ich nehme an, du kennst die NDR-Serie Der Tatortreiniger?

Klar, kenne ich.


Wie nah ist die Serie an der Realität deiner Arbeit?

Es gibt sicherlich Überschneidungen, aber vor allem einen wichtigen Unterschied: Schotty ist in der Serie allein unterwegs. Ich dagegen habe einen Angestellten, und wir sind in der Regel zu zweit vor Ort.


Warum ist das wichtig?

Es kann passieren, dass auf einer Couch oder einem Bett Leichenflüssigkeiten sind. Und wenn die Leiche dort vorher drei Wochen gelegen hat, kriegt man das nicht mehr sauber, das ist durchgesickert. Also muss man entsorgen, und dann muss die Couch oder das Bett auch mal aus dem 2. Stock abtransportiert werden. Außerdem ist es gut, jemanden zum Reden zu haben. In der Fernsehserie gibt’s ja immer etwas zu lachen. Das kommt bei uns zwar auch vor, ist aber eher die Ausnahme. Da dominiert doch das Standardprogramm, da wird einfach gereinigt.


Wer gibt denn dieses Reinigungsprogramm in Auftrag?

In der Regel sind es Angehörige oder Vermieter.


Also nicht die Polizei?

Wir hatten auch schon Fälle von der Kripo, aber meistens sind es Vermieter, die den Mieter tot in der Wohnung aufgefunden haben und uns anrufen, oft auch Nachlassverwalter.


Wisst ihr bereits, was euch erwartet, wenn ihr an den Tatort kommt, oder ist das eine Überraschung?

Meistens wissen wir vorher nicht, was uns erwartet. Uns wird einfach gesagt: Hier in der Wohnung lag für eine unbestimmte Zeit ein Leichnam, es stinkt und wir brauchen Hilfe.


Wie bereitet man sich auf solch unbekannte Situationen vor?

Wir rücken mit unserem Transporter an, in dem alles drin ist – von Werkzeugen über sämtliche Reinigungsmittel bis zum Ozongerät haben wir eigentlich immer alles parat. Wir sind vorbereitet.


Wie läuft so ein Einsatz nach einem Leichenfund ab?

Wenn wir ankommen, wartet meist schon die Kundschaft, die uns beauftragt hat. Eigentlich gehen wir erstmal zusammen rein. Die meisten bleiben aber schon vor der Tür stehen, weil die Gerüche nicht auszuhalten sind. Also gehen wir rein und schauen erstmal, was Sache ist. Die Leiche ist zu diesem Zeitpunkt natürlich schon weg. Die hat der Bestatter mit der Polizei abgeholt. Wir sehen nur, was von der Leiche noch übrig ist, beispielsweise Reste vom Gehirn, oft findet man auch noch eine Kopfhaut mit Haaren dran, dazu diverse Körperflüssigkeiten, Blut, Kot, Urin, Erbrochenes – eben alles, was ein Körper verlieren kann.


Wie gehst du dann weiter vor?

Wir checken, wie weit die betroffenen Stellen kontaminiert sind und was gemacht werden muss, alles in Absprache mit der Kundschaft, da wir logischerweise nicht eigenmächtig ganze Böden rausreißen dürfen.


Wie lange dauert so ein Einsatz?

Starten müssen wir so schnell wie möglich. Die Leute wollen das sofort beseitigt haben. Mit einer Leichenfundortreinigung sind wir in einem Tag durch. Wenn aber eine Leiche mal Wochen oder sogar Monate rumlag, hängt der Verwesungsgeruch so im Objekt, dass anschließend die Wohnung oder das ganze Haus geräumt werden muss. Möbel und Textilien bekommt man nicht mehr geruchsneutral, das muss dann alles raus.


Wie entscheidest du, was sich noch zu reinigen lohnt und was ein verlorener Fall ist?

Das merkt man oft direkt, wenn man reingeht. Je nachdem, wie stark der Verwesungsgeruch ist. Wenn die Person da erst zwei, drei Tage lag, genügt meistens eine Ozonbehandlung. Wenn es Wochen oder Monate waren, vielleicht sogar noch bei Hitze, dann hat man keine Chance.


Euer Hauptgegner ist also nicht, was an den Wänden hängt oder die Keimbelastung, sondern der Geruch?

Genau. Der ist das Schwierigste bei der Leichenfundortreinigung. Der Geruch ist der hartnäckigste Gegner. Klar, wir haben auch Fälle, bei denen die Leichenflüssigkeiten durch das Laminat, den Teppich oder den Estrich gelaufen sind.


Da kann man dann auch nichts mehr retten?

Nein, zumal wir davon ausgehen müssen, dass die Flüssigkeit unter den Estrich gelaufen ist. Der muss dann auch komplett raus. Oft gehen die Probleme also tiefer, als man zunächst denkt.


Was sind die wichtigsten Werkzeuge oder Mittel, die bei euch zum Einsatz kommen?

Das ist sicherlich das Ozon, das wir zur Geruchsbehandlung und zur Raumluft- und Oberflächendesinfektion verwenden. Das Ozon zersetzt die Geruchsmoleküle. Die werden also nicht nur umhüllt, wie man es von irgendwelchen Duftsprays aus dem Supermarkt oder Baumarkt kennt, sondern tatsächlich gespalten und damit auch zerstört. Das gute an Ozon ist, dass es selbst nach einer bestimmten Zeit wieder zu Sauerstoff zerfällt. Es ist also relativ umweltfreundlich.


Wie wird das Ozon angewendet?

Da werden die Fenster und Türen abgedichtet und dann lässt man den Dampf rein. Das dauert je nach Raumgröße zwischen 4 und 24 Stunden. Das Ozon ist giftig, sehr schädlich für die Atemwege, deshalb darf sich in dieser Zeit niemand in den Räumen aufhalten.


Ansonsten kommen Standardputzmittel zum Einsatz?

Ja, wir verwenden Spachtel, Wischmopp und verschiedene Reinigungs- und Desinfektionsmittel. Allerdings nicht unbedingt das, was man auch im Supermarkt bekommt. Gegen Blut verwenden wir Eiweißlöser, wie sie auch in Schlachtbetrieben zum Einsatz kommen. Die Desinfektionsmittel sind vom Robert-Koch-Institut zertifiziert.


Wie sieht das Spektrum an Fällen aus, bei denen du schon zur Reinigung gerufen wurdest?

Wir haben tatsächlich viele Suizide, bei denen sich Leute erhängen und man noch den Strick sieht. Oder bei denen sich Leute erschießen oder die Pulsadern aufschneiden. Diese Fälle sind immer besonders heftig, weil die ganzen Wände mit Hirn oder Blut vollgespritzt sind.


Und diese Spritzspuren bekommt ihr sauber?

Wenn es um die Böden geht, meistens schon. Fliesen- oder Steinböden sind normalerweise kein Problem. Schwieriger sind Wände, da muss die Farbe oder der Putz runtergeschliffen werden. Kürzlich hatten wir eine Decke, die aus quadratischen Platten bestand, wie man sie aus Büros kennt. Dieses Material saugt die Flüssigkeit extrem auf. Das muss dann natürlich komplett weg. Deshalb haben wir die ganzen Platten herausgenommen. Bei Wänden und Decken geht also mit Drüberwischen nichts mehr. Das muss wirklich abgeschliffen oder entfernt werden.


Der Tatortreiniger Kreuzer

Was war dein bisher außergewöhnlichster Einsatz?

Einmal wurden wir von der Kripo in eine Dreizimmerwohnung in einer größeren Stadt in Deutschland gerufen. Ein Mann mittleren Alters hatte sich das Leben genommen. Mehr Informationen hatten wir nicht. Also haben wir den Schlüssel abgeholt und sind zu zweit in die Wohnung. Der Geruch war extrem. Ich gehe also langsam in Richtung Wohnzimmer, schaue vorsichtig rein – dann trifft mich der Schlag, und ich weiche erstmal zwei Schritte zurück. Als ich nochmal genauer hinschaue, kann ich meinen Augen kaum trauen. Aus dem Augenwinkel hatte es zunächst so ausgesehen, als lägen da zwei Leichen. Hatte der Bestatter etwa vergessen, die abzuholen? Mitten auf der Couch lagen aber zwei lebensgroße Sexpuppen. Die restliche Wohnung sah auch aus wie ein Erotikladen, da lagen diverse Spielzeuge herum. Wir haben trotzdem erstmal unser Programm abgespult: Reinigung, Desinfektion. Bis wir erfahren haben, dass für den nächsten Tag schon die Angehörigen angekündigt waren. Sollten wir den Kram also beseitigen, um die Würde des Toten zu bewahren?


Und?

Ich habe die Kripo angerufen, um das Vorgehen zu besprechen. Da war eine nette Dame dran, die erstmal laut gelacht hat. Die Angehörigen waren aber schon informiert und wussten, was auf sie zukommt.


Wolltest du angesichts solcher Geschichten schon immer Tatortreiniger werden? Oder wacht man eines Tages auf und sagt sich: Ich will Leichenspuren beseitigen?

Weder noch. (lacht) Früher wollte ich Polizist werden oder Automechaniker oder im Marketing arbeiten. Hätte ich von damals aus mein heutiges Ich gesehen, hätte ich ihm den Vogel gezeigt.


Wie bist du trotzdem in diesem Beruf gelandet?

Das hat sich einfach so ergeben. Ich habe zweimal angefangen zu studieren, einmal Bauingenieurwesen und einmal Wirtschaftspsychologie. Ich habe aber gemerkt, dass das nichts für mich ist und ich lieber etwas Handwerkliches machen möchte.


Da scheint der Weg zum Tatortreiniger trotzdem noch weit.

Stimmt. (lacht) Mein Vater hat seit über 20 Jahren eine Entrümpelungsfirma, in die ich dann eingestiegen bin. Irgendwann häuften sich Anrufe nach dem Motto: Wir haben eine Räumung, aber in der Wohnung ist auch jemand gestorben. Macht ihr sowas auch? Ich habe dann Kurse und Lehrgänge zum zertifizierten Tatortreiniger besucht. Dort lernt man, wie man vorgeht und welche Mittel man einsetzt.


Ich habe gesehen, dass eine Sektion der Ausbildung den Titel „Verwesungs- und Leichengeruch“ trägt. Man sitzt also da und hört sich etwas über den Geruch von Leichen an?

Richtig. Es wäre ja auch schwierig, den Leichengeruch anschaulich zu zeigen. Man lernt also, wie dieser Geruch entsteht, wie man sich dagegen schützt und wie man ihn bekämpft. Es gab beispielsweise auch einen Kurs mit dem tollen Titel „Körpersekretionen und Schwerkraft“. Danach war ich also zertifizierter Tatortreiniger. Ich habe dann noch eine Weiterbildung zum staatlich geprüften Desinfektor gemacht.


Kann jeder diese Fortbildungen besuchen oder gibt es Voraussetzungen?

Eigentlich kann das jeder machen. Für den staatlich geprüften Desinfektor sollte man vorher schon in diesem Feld tätig sein. Es gab zum Beispiel viele Teilnehmer aus der Krankenhausbranche. Das Thema Desinfektion ist ja sehr umfassend, geht auch in die Biologie rein. Es geht darum, wie Bakterien oder Pilze aufgebaut sind, wie sie sich vermehren. Das geht schon sehr ins Detail.


Wie reagierten die Teilnehmer aus dem Krankenhaus darauf, neben einem Tatortreiniger zu sitzen?

Die werden sich ihren Teil gedacht haben. (lacht) Mitbekommen habe ich es aber nicht.


Und jetzt bist du fertig ausgebildeter, staatlich geprüfter Tatortreiniger?

Nein, denn „Tatortreiniger“ ist kein geschützter Begriff. Es ist in Deutschland auch kein Ausbildungsberuf. Viele kommen über die Gebäudereinigung oder die Schädlingsbekämpfung dazu und machen dann, wie ich, zusätzliche Lehrgänge.


Man kann also sagen: Du bist in den Job reingerutscht?

Ja. Ich hatte vorher schon mit Entrümpelungen und Messiewohnungen zu tun. So geht es vielen, die in diesem Bereich arbeiten. Es gibt keine gesetzlichen Vorgaben. Jeder kann sich „Tatortreiniger“ nennen. Wenn man so einen Fall hat, ist es daher wichtig, sich ein Unternehmen zu suchen, das qualifiziert ist und Erfahrung in diesem Bereich hat.


Ist es eine Arbeit, die du gerne machst, die vielleicht sogar Spaß macht?

Spaß würde ich es nicht unbedingt nennen. Aber der Beruf ist spannend und interessant.


Was reizt dich daran?

Die verschiedenen Fälle. Dass man eigentlich nie weiß, was einen erwartet, wie es in der Wohnung ausschaut, was passiert ist. Das ist für mich immer wieder spannend. Wir sind auch viel unterwegs, in ganz Bayern und bis nach Österreich. Man kommt also viel rum, man sieht viel und man lernt viele Leute kennen.


Auch Lebende…

…auch Lebende, ja. (lacht) Es ist schon faszinierend zu merken, wie unterschiedlich die Leute mit ihrer Trauer umgehen. Es war kein Teil der Ausbildung, mit Trauer umzugehen, das musste ich mir selbst aneignen.


Das stelle ich mir herausfordernd vor.

Vor allem am Anfang war es sehr schwierig. Stell dir vor, da kommt ein Anruf, und am anderen Ende sagt jemand: Herr Kreuzer, mein Vater ist gestorben. Und dann ist es erstmal still. Was sagt man darauf? Ich habe schließlich keine Beziehung zum Anrufer, so dass ich ihn sofort trösten könnte. Außerdem bin ich zugleich Unternehmer, der eine Leistung erbringen soll und dafür gewisse Informationen abfragen muss. Ich höre also vor allen Dingen zu und stelle selbst viele Fragen. Da muss ich immer einen Mittelweg finden, versuche natürlich unterstützend zu sein und zu signalisieren, dass wir unseren Teil gut erledigen werden.


In so einer Rolle bist du psychologisch gefordert. Brauchst du umgekehrt psychologische Beratung oder Supervision im Hintergrund?

Ich habe tatsächlich nur meine Familie und vor allem meinen Kollegen, mit dem ich mich intensiv austausche. Wir reden über die Einsätze und darüber, was bei den Fällen passiert sein könnte. Aber psychologische Betreuung gibt es nicht.


Und im Zweifelsfall hilft das Feierabendbier?

Das gibt es auf jeden Fall. Das ist immer gut. (lacht)

 

Zur Person

Maximilian Kreuzer (27) leitet als geprüfter Desinfektor und zertifizierter Tatortreiniger das Familienunternehmen „Tatortreinigung Kreuzer“. Er bietet neben Tatortreinigungen in ganz Bayern auch Entrümpelungen und die hygienische Aufbereitung von Messiewohnungen an.


Der Tatortreiniger

Was als kleines Projekt im Nachtprogramm begann, wurde zum langjährigen Serienhit: Wenn Bjarne Mädel als Heiko „Schotty“ Schotte für den NDR Tatorte reinigt, wird keine noch so kuriose Situation ausgespart. Top Unterhaltung mit Geist und Witz!

 

Das Interview mit Maximilian Kreuzer findet ihr auch in buddy No. 7 - kostenlos und bundesweit an Auslagestellen in der Gastronomie erhältlich.

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