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Redaktion

Interview: Extremsportler Savas Coban über seinen 5000-km-Lauf durch Peru


© Alexander Estrada (Ravir Film)

Savas, es ist 14:10 Uhr, hast du heute schon Sport gemacht?

Heute noch nicht so viel. Ich habe gerade meine Tasche gepackt, weil ich nach unserem Termin zum Fitness-Training gehe.

Wie hältst du dich zwischen deinen Projekten fit?

Ich sehe mich nicht als klassischen Läufer, sondern als Multisport-Athlet, deswegen trainiere ich allgemein. Ich mache viel Fitness-Training, Kraft und Ausdauer, ansonsten fahre ich Rad und laufe. Ich warte gerade auf die Premiere meines Films und die Zeit bis dahin schlage ich mir tot, indem ich noch nach Mallorca fliege und dort jeden Tag draufloslaufe, trainiere und die Zeit genieße.

Jeden Tag laufen – das ist Urlaub für dich?

Ja, genau, das ist Urlaub für mich. (lacht)

Gönnst du dir auch mal einen Tag Pause?

Wenn ich mal einen Tag Ruhe brauche, dann kann ich auch mal Pause machen, so sportsüchtig bin ich nicht. Die Regeneration fällt bei mir sehr kurz aus, weil der Körper sich an die Belastung gewöhnt. Außerdem brauche ich die Bewegung, ich kann mich nicht lange irgendwo aufhalten, das war schon immer so. Meine Mutter hat gesagt: "Als du gerade krabbeln konntest, bist du nie stehen geblieben. Ich habe deine Beine festgehalten und du bist mit den Händen weitergekrabbelt." Das ist angeboren.

Mit welcher Sportart hast du als Kind angefangen?

Ganz klassisch mit Fußball. Ich habe aber alles geliebt. In der Schule war der Sportunterricht – egal ob Turnen oder Völkerball – das Größte für mich. Später habe ich intensiv Kampfsport betrieben, Radfahren, Laufen, alles. Ich liebe einfach Sport und mag die Abwechslung.

Erinnerst du dich an den Moment, in dem du gemerkt hast, dass du mehr möchtest? Dass dein Sport extremer werden sollte?

2020 hatte ich die spontane Idee zu einer Radreise. Ich hatte Zeit und musste raus. Ich habe mir ein gebrauchtes Rad besorgt und bin sechs Tage später ohne Vorbereitung von Hamburg nach Sevilla gefahren. Das war nicht als Extremsport-Ausflug gedacht, das war eine Abenteuerreise. Dabei habe ich entdeckt, was diese tägliche Herausforderung mit mir macht, und ich habe gemerkt: Das liegt mir! Ich habe einen Kollegen angerufen und ihm gesagt: „Ich habe meine Bestimmung gefunden: Ich möchte Extremsportler werden!“ Ich habe mein Leben lang nach mir selbst und nach einer Bestimmung gesucht, aber nie etwas gefunden, wo ich direkt das Gefühl hatte: Das ist es! Mit dieser Reise habe ich meine Leidenschaft entdeckt.

Und dann hast du dir die nächsten Herausforderungen gesucht?

Genau, denn mit jeder Reise und jeder Herausforderung wächst man, die Grenzen verschieben sich. Ich habe 2021 meinen Lauf von München nach Istanbul gemacht, danach habe ich mir die Weltkarte angesehen und überlegt, wo ein Lauf die größte Herausforderung wäre. Die Wahl fiel auf Peru, weil es dort aufgrund der verschiedenen Klimazonen sehr facettenreich ist.

Die Strecke, die du in Peru gelaufen bist, war mit über 5.000 Kilometern mehr als doppelt so lang wie die von München nach Istanbul. Wolltest du deine Leistung unbedingt übertreffen?

Die Distanz stand gar nicht im Fokus und war ehrlich gesagt auch das Einfachste an der Peru-Reise. Aber die Bedingungen waren extremer, der Weg sollte spannend sein und ich wollte lange unterwegs – und lange allein – sein. Wir sind im Alltag die ganze Zeit von Menschen umgeben, deshalb genieße ich es auch mal allein zu sein.

Hast du dich an manchen Tagen auf deiner Reise auch mal einsam gefühlt?

Klar, ich war auch über Weihnachten und Neujahr allein. Neujahr habe ich in einer Hütte in einem kleinen Dorf übernachtet und mit meiner Familie videotelefoniert. Die saßen alle zusammen, da wäre ich dann natürlich gerne dabei gewesen. Ich war in Peru oft allein, weil das Land zum Teil sehr dünn besiedelt ist. Dafür waren die Begegnungen, die ich nach einsamen Stunden oder Tagen hatte, sehr schön. Ich war mittendrin, ich konnte die Sprache sprechen und habe mich quasi wie einer von den Einheimischen gefühlt. Ich war ja nicht an touristischen Orten, sondern meistens in kleinen Dörfern unterwegs. Das Gute war, dass ich nicht groß aufgefallen bin, weil ich dunkle Haare und dunkle Haut habe. Das war sicher ein Vorteil, weil ich auch an gefährlicheren Orten gelaufen bin.


© Jonas Haubold (Ravir Film)

Du wurdest auf deiner Reise von Hunden verfolgt, bist über Mauern geklettert, durch Slums gelaufen und hast allein in der Wildnis übernachtet. Kannst du deine Ängste gut ausblenden?

Ich glaube, meine Stärke ist es, dass ich mich meinen Ängsten immer stelle. Ich habe etwa Angst vor Schlangen, begebe mich aber dorthin, wo es Schlangen gibt. Am meisten wurde ich aber vor den Menschen gewarnt. Fast täglich. Ich habe einmal mit der Polizei gesprochen, und als sie erfahren haben, dass ich seit zwei Monaten durch das Land laufe, haben sie mich erstaunt gefragt: „Wie – du wurdest noch nicht ausgeraubt? Da hast du Glück gehabt!“

War es wirklich nur Glück?

Wie gesagt, ich denke mein Aussehen hat mir geholfen. Außerdem fängst du auf so einer Reise irgendwann an, schlecht zu riechen. (lacht) Du bist ein bisschen dreckig, und die Leute denken sich wahrscheinlich: Das ist kein Ziel für uns. Hinzu kommt die Erfahrung: Ich habe gelernt, dass die Körpersprache wichtig ist, dass du dich nicht auffällig verhältst, sondern ganz selbstverständlich, dann denken die Leute: Der kommt von hier, der kennt hier jemanden. Zudem war ich nie länger an einem Ort, das kann auch geholfen haben. Es kann viel passieren, aber ich mache mir keine großen Sorgen, sondern begebe mich einfach in die Situation und reagiere spontan.

Anders könnte man so ein Abenteuer wohl auch nicht angehen. Warst du abends auch mal zu erschöpft, um Angst zu spüren?

Ja, man ist so erschöpft, dass dir das völlig egal ist. Du kannst überall schlafen. Ich habe einmal ein Stein als Kopfkissen benutzt. So eine Reise ist mein persönlicher Wettkampf, ich sage zu mir selbst: „Stell dich darauf ein, dass du mal nicht so viel zu essen haben wirst, dass dir mal zu kalt und mal zu heiß sein wird, oder dass es mal unbequem wird.“ Mit dieser Einstellung kann ich besser damit umgehen.

Konntest du die Natur trotz der körperlichen Strapazen genießen?

Für einen Trail-Runner war das ein absoluter Traum. Du siehst jeden Tag etwas anderes von dieser unglaublichen Natur dort: Die Tiere und vor allem die Lamas, die dort frei rumlaufen. Ich war vorher noch nie im Dschungel, diese Geräuschkulisse dort zu erleben, war unglaublich. Auf den Bäumen saßen wilde Affen. Wenn ich etwas besonders Schönes gesehen habe, bin ich auch mal stehen geblieben und habe das genossen, es war ja kein Wettrennen.

Wie anstrengend war es mit deinem Gepäck, deinem Rucksack?

Das Schwierige waren die verschiedenen Regionen, für die ich unterschiedliche Kleidung brauchte. Im Dschungel hatte ich meine Daunenjacke dabei, auch wenn ich sie dort nicht brauchte. Ich hatte die Hoffnung, den Rucksack irgendwann nicht mehr zu spüren, das war aber leider nicht so.

Hast du zwischendurch gewaschen?

Irgendwann habe ich das Waschen aufgegeben, ich habe die Klamotten nur noch über Nacht im Zelt getrocknet. Deshalb bin ich froh, dass man den Film im Kino nicht riechen kann. (lacht) Als ich in Lima im Ziel ankam wurde ich in einem Interview gefragt, was ich jetzt machen möchte. Ich habe gesagt: „Bitte fahrt mich in ein Einkaufscenter, ich möchte frische Kleidung kaufen.“

Du bist durchschnittlich täglich 60 Kilometer gelaufen – wie regeneriert dein Körper so schnell?

Der Unterschied zwischen mir und einem Marathonläufer ist, dass der Läufer für Tag X trainiert, und an dem Tag alles gibt. Ich muss auf jeden Tag schauen, aber darf mich nicht völlig verausgaben. Ich wusste, dass ich nicht immer ausreichend Wasser und Nahrung zur Verfügung haben würde, deshalb habe ich in der Vorbereitung oft Läufe auf nüchternen Magen gemacht. So lernt der Körper mit wenig Energie auszukommen. Ich habe am Tag 7.000 Kalorien verbrannt und habe diese nicht wieder reinbekommen. Mein Motto war deshalb immer: Wenn ich etwas zu essen finde, dann haue ich rein. Dann bestelle ich mir zwei oder drei Teller und tanke auf. Manchmal hat mir die Energie gefehlt, aber es wurde nie richtig kritisch. Trotzdem war viel Willenskraft gefragt.

Diese Willensleistung wird im Film besonders in einer Szene deutlich, in der du im Schnee bergauf läufst und laut jammerst.

Das war nur ein bis zwei Tage, nachdem ich in der Wüste war. Ich bin die Höhenmeter direkt aufgestiegen, normalerweise macht man das Stück für Stück und der Körper gewöhnt sich langsam daran. Weil ich aber keine Zeit hatte, mich zu akklimatisieren, hat mein Körper extrem reagiert – mit der sogenannten Höhenkrankheit und Symptomen wie Kopfschmerzen und Schwindel. Ich schreie in der Szene fast, mache das aber nicht aus körperlicher Erschöpfung, sondern weil ich nach Luft schnappe. Ich habe panisch reagiert, mir aber irgendwann gesagt: "Bleib ruhig, sonst wird es nur schlimmer." Ich wusste in dem Moment, dass ich fast am höchsten Punkt angelangt bin, es gleich wieder runtergeht und dann schnell besser wird. Aber dieser Moment war einer der schlimmsten auf der ganzen Reise.

Und trotzdem hat er dich glücklich gemacht. Man sieht dich kurz darauf gelöst und jubelnd in deine Kamera lachen.

Ich habe in dem Moment geweint und gelacht zugleich, deshalb sah es so aus, als hätte ich den Verstand verloren. (lacht) Ich habe ein Selbstgespräch geführt und gedacht: "Das ist das, was ich erfahren möchte. Jetzt verschieben sich die Grenzen. Wenn ich morgen aufwache, bin ich ein stärkerer Mensch." Ich war noch nie so emotional wie auf dieser Reise. Ich hatte so viele Momente, in denen mir die Tränen gekommen sind – aus Freude.

Damit hast du auch die Frage beantwortet, die du dir im Film selbst stellst:

„Warum mache ich das hier eigentlich?“

Jeder Ultraläufer oder Extremsportler hat Mal einen Moment, in dem er sich das fragt, auch wenn man weiß, warum man das macht. Ich mache das aus Leidenschaft, aus Liebe – und jeder Tag macht mich glücklich. Jeder Tag ist ein Erfolgserlebnis, diese neuen Eindrücke und das Ungewisse, die Schwierigkeiten, die man bewältigen muss – das ist mein Wettkampf.

© Robert Koschitzki (Ravir Film)

Erinnerst du dich noch, was deine Familie gesagt hat, als du ihnen von deinen Peru-Plänen erzählt hast?

Ich habe türkische Wurzeln und bei uns ist so etwas nicht normal, das macht man nicht. Meine Familie hat sich natürlich Sorgen gemacht und sie hat nicht verstanden, was ich wollte. Mir war das aber nicht so wichtig, mir war wichtig, dass ich weiß, was ich tue. Als meine Familie für den Film gefragt wurde, wieso ich das mache, wusste niemand eine Antwort darauf (lacht). Das Gute ist: Meine Mutter ist in einfachen Verhältnissen groß geworden, sie ist nicht lange zur Schule gegangen und kannte Peru nicht. Sie wusste also nicht, was mich dort erwartet. Als ich aus Peru zurück war, habe ich sie umarmt, sie hat sehr geweint und ich habe ihr ins Ohr geflüstert: „Vertrau mir ab jetzt bitte, dass ich auf mich aufpassen kann.“

Hat denn jemand versucht, dich von deiner Peru-Reise abzubringen?

Um ehrlich zu sein: Ich wurde von meiner Familie nicht unterstützt, weil sie mich beschützen wollte. Aber die können nicht in meinen Kopf schauen und sehen, wie sehr ich das möchte und wie ernst ich das meine. Ich war der Einzige, der daran geglaubt hat, aber das reicht auch. Wenn du einen Traum hast, bist du damit allein. Ich war positiv besessen von dieser Reise, ich habe alles andere aufgegeben, hatte keinen Plan B. Vor der Reise habe ich Zeiten durchgemacht, in denen ich von Pfandflaschen gelebt habe. Ich habe meine Wohnung in Hamburg verloren, mich aber nie beschwert, weil ich wusste, es wird klappen. Meine Familie hat versucht, mir das auszureden. Meine Schwester und meine Mutter haben gesagt: „Wir können nicht mit ansehen, was du dir antust. Gib deinen Traum auf!“ In dem Moment habe ich angefangen zu weinen, weil der Druck so groß war. Ich habe meiner Schwester gesagt: „Gib mir bitte noch eine Chance. Peru wird einiges verändern.“ Sie hat gesagt: „Okay, aber wenn es danach nicht so aussieht, als würdest du damit etwas erreichen, dann lässt du das!“ Ich habe mich oft einsam gefühlt, bin meiner Familie aber trotzdem dankbar für ihre Geduld.

Am Ende des Films sagst du auch: „Jetzt wird sich alles ändern.“ Hat sich bereits etwas geändert?

Meine Familie sieht jetzt, dass ich doch ein bisschen Geld damit verdienen kann. Vor allem haben sie gemerkt, dass meine Reise Menschen berührt und inspiriert hat. Sie wurden von vielen Leuten darauf angesprochen und haben realisiert, dass es etwas Gutes ist, was ich mache. Sie respektieren es nun, das hat viel verändert.

 

Zur Person

Savas Coban, geboren am 17. Oktober 1992, wächst in Bremen mit seiner Mutter und zwei Geschwistern auf. Bewegung und Sport spielen früh eine wichtige Rolle in seinem Leben. Coban arbeitet unter anderem als Personal Trainer, findet seine Bestimmung aber erst mit seiner Radreise von Hamburg nach Sevilla. 2021 läuft er täglich einen Ultramarathon und insgesamt knapp 2250 Kilometer von München nach Istanbul. 2023 läuft er in Peru mehr als das Doppelte in 87 Tagen. Sein nächstes Projekt ist in Planung und wird verschiedene Disziplinen umfassen.


Das Interview mit Savas Coban findet ihr auch in buddy No. 11 - kostenlos in der Szene-Gastronomie erhältlich


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